Pepe bleibt ganz ruhig, als die Hand auf ihn zukommt. Er wirkt fast ein wenig gleichgültig, während seine Augen aufmerksam sein Gegenüber betrachten. Pepe lässt die Berührung zu. Erst am Hals, dann am Kopf und zwischen den erstaunlich großen Ohren. Sein dunkelbraunes Fell fühlt sich struppig an. Er steht ruhig, die Augen fangen den Blick seines Gegenüber auf. Fast unmerklich schiebt er seinen Kopf der Hand hinterher, kommt mit seinem massiven Körper ein winziges Stückchen näher. „Mach weiter“, sagt er „ich find’s gut!“
Hat er das wirklich gesagt? Natürlich kann Pepe nicht sprechen, aber da ist dieses Gefühl, dass er etwas sagt, dass er Kontakt will, dass er zuhört. Fast unmerklich fordert er mit der Bewegung seines Kopfes weitere Streicheleinheiten. Da ist er störrisch. Als störrisch gilt er ja sowieso bei den Menschen. Störrisch und dumm, eben ein Esel. Das stört Pepe nicht, denn er ist ja ein Esel.
Zugleich ist er einer der Co-Therapeuten auf dem Schmetterlingshof in Milte, wo Kinder und Familien mit und ohne Handicaps in belastenden Situationen, nach Schicksalsschlägen oder Gewalterfahrungen Unterstützung erfahren. Von den Poitou-Eseln Pepe und Isis, Ziege Lisbeth, mehreren Meerschweinchen und Katzen, den Hunden Hilde und Lotti, zwei Minischweinen, zwei Waliser-Schafen – und von Christin Brockmann und ihren menschlichen Mitarbeitenden. Tiergestützte Therapie lautet der Begriff für das Angebot, das hier seit August 2022 existiert und bereits vielen Menschen hätte helfen können – wenn nicht viele unselige bürokratischen Hürden und lange Entscheidungsprozesse die Zulassung so lange hinausgezögert hätten. Erst jetzt ist die direkte Abrechnung mit den Ämtern möglich. Krankenkassen leider noch ein Thema für sich, denn tiergestützte Therapien landauf landab kämpfen um die Kostenübernahme für diese erfolgreiche Therapiemethode.
„Die Hürden sind weg“, freute sich Brockmann bei einer kleinen Feier, die Anfang September für die Freunde des Hofes und die vielen ehrenamtlichen Unterstützerinnen (plus einen Unterstützer) ausrichtete. „Tatsächlich – bis auf einen Mann sind es 20 Frauen, die hier mithelfen“, wundert sie sich und fügt schmunzelnd an: „Uns fehlen Männer, die Muckis haben!“
Alle Helfenden sind in sozialen und pädagogischen Berufen ausgebildet. Lehrerinnen, Sozialarbeiterinnen, Pflegekräfte. Christin Brockmann, die bereits im Alter von sieben Jahren ihren Vater verlor, war viele Jahre lang Krankenschwester und ist zudem als Motopädin ausgebildet. Nach einem weiteren, sehr schweren Schicksalsschlag vor vier Jahren entschied sie sich, Menschen in ähnlichen Situationen Hilfe anzubieten – mittels der tiergestützten Therapie. Die Unterstützung, die Tiere der menschlichen Psyche bieten können, hatte sie am eigenen Leib erfahren: durch Dackeldame Lotti und durch die Tiere auf einem befreundeten Hof. „Das ist meine Resilienz“, lernte sie die Widerstandskraft zu schätzen, die ihr die Kommunikation mit Tieren gab.
Ein mittlerweile sehr bekanntes und auch wissenschaftlich erforschtes Phänomen. Die tiergestützte Therapie senkt bzw. normalisiert Blutdruck und Puls. Zudem bewirkt das Streicheln der Tiere, neben der psychischen Entspannung, dass im Körper vermehrt Oxytocin ausgeschüttet wird, das der Volksmund „Kuschelhormon“ nennt.
Die Gefühle, die die Kommunikation mit den Tieren in Betroffenen auslöst, kann man nicht messen, aber sie ist deutlich sichtbar. Ein Lächeln umspielt Christin Brockmanns Gesicht, wenn sie erzählt, wie ein autistischer Klient sich entspannt auf den Esel legte und anschmiegte. Und Esel Pepe, im Gegenzug, völlig uneselisch hinter seinem „Klienten“ herlief. Ursprünglich war das Angebot des Schmetterlingshofs auf Trauer und Hospizklienten ausgerichtet – „aber die Nachfrage ist extrem groß“, sagt die Inhaberin.
Das Jugendamt habe die tiergestützte Therapie mit Hunden und Pferden natürlich gekannt, erinnert sie sich. Die Arbeit mit anderen Tierarten hingegen sei vielfach weniger bekannt. Im Schmetterlingshof ist es so, dass sich die Klienten das für sie passende Tier quasi erarbeiten. Das kann dann auch Ziege Lisbeth oder eins der Meerschweinchen sein. Entscheidend ist die Kommunikation zwischen den Klienten und den Tieren. „Uns haben bereits mehrere Professoren besucht, die alle merken, dass in den sozialen Studiengängen die tiergestützte Therapie sehr nachgefragt ist“, berichtet die Inhaberin. Dazu zählt auch Dr. Dirk Dammann, der Vater von Mitarbeiterin Annika, die auf dem Hof ihr Duales Studium macht. Als Chefarzt einer Kinder- und Jugendpsychiatrie weiß der gebürtige Warendorfer um die vielen positiven Wirkungen dieser Arbeit.
Beim Stichwort Arbeit gerät Brockmann sofort ins Schwärmen. Nicht über die viele Arbeit auf dem Hof, sondern über die zahlreichen Freunde, die helfen. Einige von ihnen sind zur Feier gekommen und erzählen. Von der unkomplizierten Besorgung eines Anhängers, weil der Esel nicht zum Zahnarzt laufen konnte. Oder von dem Mitarbeitertrupp der „mal eben“ ein paar Zäune setzte und im Stall aushalf. Thomas Heitmann bringt es auf den Punkt: „Das kriegst du im Leben sonst nicht, so was zu unterstützen!“
Ohne diese ehrenamtlichen Hilfen und Helfende könnte der Betrieb, zumindest noch nicht, funktionieren. Dazu zählen auch die vielen jungen Frauen, die hier ein Praktikum absolviert haben. Ganz gleich ob ein, drei oder vierzehn Tage – sie kommen immer wieder, packen mit an und freuen sich, tierische und menschliche Freunde wiederzusehen.
Brockmann macht keinen Hehl daraus, dass der Schmetterlingshof e.V. stark auf Spenden angewiesen ist. Denn seit dem unvermeidbaren Umzug von Raestrup nach Milte sind monatlich mindestens 1.600 Euro Kosten angefallen, die wegen der bürokratischen Hürden nicht erwirtschaftet werden konnten. Futter, Tierarzt, Pacht, Schafschur, Hufschmied … – die Liste ist lang. Jetzt endlich ist das Licht am Horizont zu erkennen, was für die Klienten bedeutet, dass sie sich auf konsequente Unterstützung durch den Schmetterlingshof verlassen können.
Weitere Informationen unter: www.schmetterlingshof-warendorf.de
IBAN: DE98 4126 2501 6406 1603 00
Die beiden noch jungen Mini-Schweine sind gerade in der Ausbildung und lernen auch von Leni Almstedt auf bestimmte Kommandos und Gesten zu reagieren.
Ein entspannter Sommertag: Nora, Luis, Christin Brockmann mit Emmi, Emilie, Annika und Co-Therapeut Pepe (v.li.)
Sinas Mutter hatte einen Flyer vom Schmetterlingshof gefunden. „Wäre das nicht was fürs Praktikum“, fragte sie. Seither ist Sina ganz regelmäßig hier01
In der Hängematte können nicht nur die Klienten entspannt die Meerschweinchen beobachten, auch die Praktikanten. Marie, die später einmal Grundschullehrerin werden möchte, hatte auf dem Hof zwei Wochen Praktikum absolviert und ist seitdem mindestens ein Mal wöchentlich hier. „Noch nie hat ein Praktikum so viel Spaß gemacht“, sagt sie
Britta Almstedt, Annika Dammann und Vera Benicke mit den vierbeinigen Co-Therapeutinnen Lotti und Hilde (v.li.
Therapiepause – Ziege Lisbeth bei der Körperpflege
„Das kriegst du im Leben sonst nicht, so was zu unterstützen!“ – Praktikantinnen und Freunde bei der gemeinsamen Feier: Sina Deitert, Marie Reckhorn, Lena Havelt, Regina Baumgarten, Christian Strotdresch, Manuela und Thomas Heitmann, Heinz Dulisch und Leni Almstedt (v.li)
Fotos: Rieder