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Warum Westfalen im Kreis Warendorf erfunden wurde: Bedeutende Handschrift kehrt ins Museum Abtei Liesborn zurück

Liesborn. Betrachtet man eine moderne Karte der Region Westfalen und ihrer Verwaltungsbezirke, so erscheint diese in der Form eines Herzens. Dass diese Tatsache für eine liebenswerte Region spricht, ist unbestritten. Und eine weitere Sache fällt auf: Denn ziemlich genau in der Herz-Mitte liegt das Museum Abtei Liesborn in den Räumlichkeiten einer der ältesten Klosteranlagen, deren Ursprünge bis in das 9. Jahrhundert zurückreichen. Da erscheint es umso passender, dass sich das Ausstellungshaus im Jubiläumsjahr „1250 Jahre Westfalen“ in einer Sonderausstellung mit der „Erfindung Westfalens“ beschäftigt.

„Ob Westfalen wirklich in Liesborn erfunden wurde, können wir natürlich nicht belegen. Was wir aber wissen, ist, dass das frühere Kloster in Liesborn eine wichtige und entscheidende Rolle für die Geschichtsschreibung der Region gespielt hat“, sagte Dr. Olaf Gericke, Landrat des Kreises Warendorf, zu dem das Museum gehört, am Dienstag (25. Februar) über die Ausstellung.
Um 1500 verfasste der Liesborner Mönch Bernhard Witte die erste zusammenfassende Geschichtsdarstellung Westfalens. Die erste Erwähnung der „Westfalai“ findet sich in den Fränkischen Reichsannalen für das Jahr 775 und ist Ausgangspunkt der Zeitreise, um die die LWL-Kulturstiftung gemeinsam mit dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) in diesem Jahr zahlreiche Ausstellungen und Veranstaltungen als Kulturprogramm zum Jubiläum präsentiert. Auch die Ausstellung im Museum Abtei Liesborn, ist eines der 44 Kulturprojekte, die insgesamt mit rund drei Millionen Euro gefördert werden. Die Stiftung der Sparkasse Münsterland Ost fördert dieses Kulturprogramm der LWL-Kulturstiftung im Rahmen ausgewählter Projekte in Münster und im Kreis Warendorf.
„2025 – 1500 – 775: In diesem Jahr feiert Westfalen viele Jubiläen, denn die 1250 Jahre sind geprägt von historischen Ereignissen und Persönlichkeiten, aus denen unsere heutige Vielfalt hervorging,“ so Dr. Georg Lunemann, der Direktor des LWL und Vorstandsvorsitzender der LWL-Kulturstiftung. „Unser Kulturprogramm zum Jubiläum mit 44 Projekten und mehreren hundert Veranstaltungen lädt alle dazu ein, gemeinsam diese Diversität und ihre Kraft zu leben und zu feiern. Wir freuen uns sehr, dass sich die Stiftung der Sparkasse Münsterland Ost dem Jubiläum anschließt und ausgewählte Highlight-Projekte in Münster und Warendorf unterstützt.“
In den ersten Jahrhunderten wurde mit dem Begriff zumeist eine Volksgruppe als Teil des Stammes der Sachsen bezeichnet. Dies änderte sich erst im 15. Jahrhundert, als die Menschen zunehmend begannen, den Ausdruck Westfalen als räumliche Zuordnung und individuelle Selbstbezeichnung zu verwenden. Als Entstehungsmythos wurde zunehmend die Eroberung und Christianisierung der Region durch Karl den Großen gesehen, wobei die Westfalen als erste Gruppe der Sachsen zum neuen Glauben übergetreten sind.
„Westfalen war nicht einfach da, es wurde immer wieder neu gemacht. Die Ausstellung hier in Wadersloh ergänzt mit der Chronik Bernhard Wittes die zentrale Ausstellung „775 – Westfalen“ im LWL-Museum in der Kaiserpfalz um das älteste Geschichtswerk“, so Dr. Barbara Rüschoff-Parzinger, LWL-Kulturdezernentin und Vorstandsmitglied der LWL-Kulturstiftung. „Diese unterschiedlichen Blickrichtungen und Schwerpunkte formen im Verbund unseres Kulturprogramms zum Jubiläum ein umfassendes Bild unserer Region“, so Rüschoff-Parzinger weiter.
In dieser Zeit erlebte auch das Kloster Liesborn unter seinen Äbten Heinrich von Kleve (1464-1490) und Johannes Schmalebecker (1490-1522) eine herausragende Blütezeit von Kunst und Wissenschaften. Hierzu gehörte auch ein deutlicher Ausbau der umfangreichen Klosterbibliothek, der von dem in Lippstadt geborenen Mönch Bernhard Witte vorangetrieben wurde. Es waren vor allem historische Werke, die in die Regale der Bibliothek wanderten und die der gelehrte Kleriker benutzte, um seine „Westfalengeschichte“ (Historia Westphaliae) zu schreiben. Ganz im Stil seiner Zeit wurde das Werk als Weltchronik verfasst, die von der Sintflut bis zum Jahr 1520 reichte.
Erst im Jahre 1778 wurden Teile dieser historischen Darstellung Westfalens bei Aschendorff in Münster gedruckt. Das spätmittelalterliche Originalmanuskript galt lange Zeit als verschollen, bevor es im Jahre 2023 wiedergefunden werden konnte. Es befindet sich in Privateigentum und kehrt auch dorthin zurück. Der Eigentümer möchte ungenannt bleiben, woran sich das Museum und die Ausstellungsbeteiligten selbstverständlich halten. Nun wird das Manuskript erstmals in einer Ausstellung gezeigt und in den historischen Kontext des Klosters und der Region Westfalen eingeordnet. Damit kehrt eine weitere bedeutende Handschrift – zumindest für kurze Zeit – in die Räumlichkeiten der Benediktinerabtei zurück und ist nach mehr als 200 Jahren wieder mit dem Liesborner Evangeliar vereint. Eine historisch-kritische Edition dieses für die Geschichte Westfalens so bedeutsamen Textes ist ebenfalls geplant. Hierfür werden derzeit noch Förderer gesucht. Ein Förderer, der die Realis
ierung der Ausstellung maßgeblich unterstützt hat, ist die Stiftung der Sparkasse Münsterland Ost: „Die Förderung nachhaltiger kultureller Projekte, die das Bewusstsein für unsere Geschichte stärken, liegt uns als Stiftung besonders am Herzen. Die Präsentation der Witte-Chronik im Jubiläumsjahr 1250 Jahre Westfalen verbindet Vergangenheit und Zukunft und zeigt eindrucksvoll, wie historische Perspektiven unsere regionale Identität prägen können“, so Peter Scholz, stv. Vorstandsvorsitzender der Sparkasse Münsterland Ost und Kuratoriumsmitglied der Stiftung der Sparkasse Münsterland Ost.
Die Besucherinnen und Besucher des Museums erwartet vom 27. April bis 19. Oktober 2025 ein spannender Einblick in die westfälische Klosterwelt des Spätmittelalters. „Neben den interessanten und teilweise erstmals gezeigten Exponaten aus der Liesborner Abtei um 1500 erfährt man einiges über die Vorlagen und die Nachfolger von Wittes Chronik“, erklärte Museumsleiter Dr. Sebastian Steinbach das Konzept der Ausstellung. Auch ermöglicht die „Digitale Liesborner Klosterbibliothek“ das virtuelle Blättern in der mittelalterlichen Handschrift und dem frühneuzeitlichen Druck mit zahlreichen Hintergrundinformationen. Begleitet wird die Ausstellung zudem von einem bunten museumspädagogischen Rahmenprogramm für kleine und große Besucherinnen und Besucher. Der Eintritt ist wie immer frei.


Freuen sich über die zeitweise Rückkehr von Bernhard Wittes „Westfalengeschichte“ nach Liesborn: Christian Thegelkamp (Bürgermeister der Gemeinde Wadersloh), Dr. Barbara Rüschoff-Parzinger (LWL-Kulturdezernentin und Vorstandsmitglied der LWL-Kulturstiftung), Dr. Olaf Gericke (Landrat des Kreises Warendorf), Dr. Georg Lunemann (Direktor des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe und Vorstandsvorsitzender der LWL-Kulturstiftung), Peter Scholz (stv. Vorstandsvorsitzender der Sparkasse Münsterland Ost), Dr. Sebastian Steinbach (Leiter Museum Abtei Liesborn) (v.l.n.r.).

Als „Gründungsvater Westfalens“ kommt Karl dem Großen auch eine besondere Rolle in der Historia Westphaliae von Bernhard Witte zu. Ein ganzseitiges Bild zeigt ihn umgeben von seinen vier namentlich bekannten Ehefrauen.

Foto: weitblick.medien, Heiko Marcher