Bärbel Schenk unterrichtet Migranten: Integration mal andersrum

Kreis Warendorf. Sie hat viele Jahre psychisch kranke Arbeitslose beraten. Eine Qualifikation als Deutschlehrerin jedoch fehlt Bärbel Schenk. Die Oelderin ist seit kurzem im Ruhestand. „Ich will aber nicht nur zu Hause bleiben, sondern noch was machen“, betont die 65-Jährige. Deswegen sagte sie sofort Ja, als Ulrike Klemann vom Caritasverband im Kreisdekanat Warendorf sie bat, Sprachunterricht für Migranten zu geben. „Diese Aufgabe hatte ich 2015 schon übernommen, als es nicht genügend Plätze in Deutschkursen bei der VHS gab.“

Dienstags und freitags ist Bärbel Schenk nun vormittags im Haus der Senioren in Ennigerloh und hilft Migranten dabei, die deutsche Sprache zu lernen. Einer von ihnen ist Andrej Storchak. Der 42-Jährige kommt aus der Ostukraine und ist von Beruf Physiotherapeut sowie Basketball-Trainer. Zusammen mit seiner Frau und den beiden Kindern (7 und 13) lebt Storchak seit zwei Jahren in Ennigerloh. Den Sprachkurs auf B1-Niveau hat er erfolgreich absolviert. Dann kam eine Schulter-OP dazwischen, aber der Ukrainer hofft, bald an einem B2-Kurs teilnehmen zu können. Bis es so weit ist, paukt er zusammen mit Bärbel Schenk deutsche Grammatik. Die Oelderin freut sich über ihren hochmotivierten Schüler. „Herr Storchak bereitet selbst vor, was er im Unterricht lernen will und wartet nicht darauf, dass ich ihm etwas präsentiere“, erläutert sie. So habe man sich beispielsweise in einer Stunde mit Vokabeln rund ums Einkaufen beschäftigt, in einer anderen ging es um das Thema Gesundheit.

Heute möchte der Ukrainer wissen, wie die Wörter „nicht“ und „kein“ gebraucht werden. Er hat bereits Übungssätze vorbereitet und in seiner Kladde notiert. Satz für Satz gehen die beiden den Text durch. Bärbel Schenk erläutert die Grammatik, und Andrej Storchak unterstreicht hin und wieder einzelne Begriffe in seiner Kladde.

Die Stunde geht schnell vorüber. Storchak erzählt, dass er in der Ukraine auch als Physiotherapeut der U21-Nationalmannschaft im Fußball gearbeitet hat. Ferner gab er Sportkurse an technischen Schulen und Gymnasien. Ähnliche Aufgaben übernimmt er, seitdem er aus der Ukraine geflüchtet ist. So trainiert der Ukrainer seit zwei Jahren Basketball für Kinder in Ahlen. Jeweils einmal pro Woche macht er außerdem Sportangebote in der Fritz-Winter-Gesamtschule sowie im Jugendzentrum Ost in Ahlen. Aktuell hofft der 42-Jährige darauf, Praktika als Sportlehrer oder Physiotherapeut machen zu können. In einer Beckumer Praxis hat er sich gerade um ein Praktikum als Physiotherapeut beworben. Storchak ist überzeugt, dass er sich durch Arbeit am besten integrieren kann, heißt es in einer Pressemitteilung des Caritasverbandes im Kreisdekanat Warendorf. Genau deswegen liegt ihm die gute Beherrschung der deutschen Sprache am Herzen. Das individuelle Lernen mit Bärbel Schenk betrachtet Storchak als einen Baustein auf diesem Weg.  

Als der Ukrainer sich verabschiedet, warten vor der Tür bereits zwei junge Frauen aus Sri Lanka auf den nächsten Unterricht. Für Bärbel Schenk ist es ein Intensiver Vormittag. Morgens um 9 steigt sie in ihr Auto und fährt von Oelde nach Ennigerloh.  Eine Aufwandsentschädigung erhält sie für ihren Einsatz nicht. Das ist ihr aber auch nicht wichtig. „Es macht mir einfach Spaß“, sagt sie. Sie habe eine Aufgabe, die sinnvoll sei. Gleichzeitig könne sie sich mit fremden Kulturen vertraut machen. „Das ist Integration mal andersrum.“ Die 65-Jährige macht eine kurze Pause: „Und wenn ich dazu beitragen kann, dass Menschen wie Andrej durch bessere Sprachkenntnisse den Einstieg in das Berufsleben schaffen, freut mich das natürlich.“

Andrej Storchak ist aus der Ukraine nach Deutschland geflüchtet. Bärbel Schenk hilft ihm, seine Deutschkenntnisse zu verbessern. Und sie ist begeistert von ihrem hoch motivierten Schüler. Foto: Caritasverband im Kreisdekanat Warendorf