
Schülerinnen und Schüler des Paul-Spiegel-Berufskollegs Warendorf präsentierten Eindrücke und Erkenntnisse aus Gedenkstättenfahrten.
In einer berührenden Veranstaltung haben Schülerinnen und Schüler in der voll besetzten Aula des Paul-Spiegel-Berufskollegs zurückgeblickt auf die Gedenkstättenfahrten, die zum Ende des ersten Schulhalbjahres stattgefunden haben. 108 junge Menschen aus verschiedenen Bildungsgängen und Klassen waren gemeinsam mit Lehrkräften und begleitet von Experten des in Münster ansässigen Vereins Gemeinsam Erinnern für eine Europäische Zukunft e.V (GEEZ e.V.) nach Buchenwald/Weimar, Riga, Warschau/Treblinka, Auschwitz/Krakau und Amsterdam/Westerbork gereist.
In ihren Präsentationen erzählten die Schülerinnen und Schüler davon, was sie beeindruckt und bedrückt hat. Gespräche mit Zeitzeugen, Besuche von Mahnmalen, Museen und ehemaligen Vernichtungslagern und die Teilnahme an Workshops haben bleibende Erinnerungen hinterlassen, Impulse gesetzt und Wissen erweitert. „Es war real“, betonte Lina Dahlhoff in ihrer Anmoderation, „und wir müssen gegen Relativierungen dieser Geschehnisse kämpfen und verhindern, dass so etwas wieder geschieht.“ Ein Gedanke, den Schulleiter Udo Lakemper in seinem Schlusswort aufgriff, mit dem Verweis auf Namen und Auftrag des Paul-Spiegel-Berufskollegs.
Auf der Gedenkenstättenfahrt mit dem Ziel Riga wurde die Verbindung zwischen der lettischen Hauptstadt und Warendorf im Laufe der Reise immer spürbarer. Ein bewegender Moment war der Besuch der Gedenkstätte Bikernieki, dem größten Tatort des Massenmords in Lettland. Dort gedachten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der 1941 nach Riga deportierten Jüdinnen und Juden aus Warendorf. Bereits im Vorfeld der Reise hatten sie sich intensiv mit den Biografien der Opfer beschäftigt, Namen recherchiert und eine Erinnerungskarte erstellt. In einer feierlichen Zeremonie wurden diese Namen an den Gedenksteinen des Riga-Komitees von Warendorf, Telgte und Münster verlesen. Abschließend legten die Schülerinnen und Schüler eine Blume nieder – als Zeichen der Erinnerung und des Nicht-Vergessens. „Vor Ort waren die vielen Informationen und die enorme Anzahl der anonymen Massengräber sehr bedrückend und herausfordernd“, berichtet Swana Wittenberg.
Neben Bikernieki besuchte die Gruppe auch die Gedenkstätten Salaspils, das ehemalige Arbeitserziehungslager, sowie Rumbula, das an die ermordeten jüdischen Einwohner Rigas erinnert. Besonders eindrücklich war die Erkundung des ehemaligen Ghettos (1941–1944) und des alten jüdischen Friedhofs. Dort ergab sich ein spontanes Gespräch mit einem Letten, dessen Großeltern einst am Rande des Friedhofs lebten. „Das war ein sehr bewegender Moment, weil der Mann sich freute, dass wir als Schülerinnen und Schüler aus Deutschland uns für die Vergangenheit interessieren und an einer Gedenkstättenfahrt teilnehmen“, schildert David Richter. Nach einer Woche voller intensiver Erfahrungen kehrten die Schülerinnen und Schüler mit tiefem Respekt und Dankbarkeit zurück. „Mir ist bewusst geworden, welch großes Geschenk es ist, in Freiheit leben zu dürfen“, resümiert Xenia Hergert.
Bei der Fahrt nach Auschwitz und Krakau ging die Führung durch die ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz und Birkenau besonders nah. An der Erschießungsmauer lagen noch die Erinnerungskränze anlässlich des Jahresgedenkens der Befreiung des Lagers am 27. Januar 1945. In Workshops erarbeiteten die Schülerinnen und Schüler die Lebensläufe überlebender Menschen, ihre individuellen Verarbeitungsprozesse und ihr Wirken bis in die heutige Zeit. Antworten auf die Frage „Was macht diese Erfahrung mit einem Menschen?“ gab der Besuch einer ergreifenden Ausstellung über einen ehemaligen Häftling und das Gespräch mit einer Zeitzeugin, die als Kind in der Fabrik Oskar Schindlers arbeitete und dadurch überlebt hat.
In Warschau waren die Erinnerungen an die Vernichtungsstätte Treblinka, das Warschauer Ghetto und den Arzt und Waisenhausleiter Janusz Korzcak, das Museum Polin und das Ringelblum-Archiv die Hauptpunkte des Programms. Die Schülerin Mara Peters fasste ihr Erleben und ihre persönliche Überzeugung in einem Appell zusammen: ,,Mir persönlich ist viel bewusst geworden, worüber ich vorher nicht nachgedacht habe. Wir Schüler haben täglich mit Problemen wie Ausgrenzung zu kämpfen, die vielleicht auch vermeidbar sind, indem wir uns im Klaren sind: Hass, Rassismus und Ausgrenzung sind falsch, wir müssen lernen zu tolerieren. Jeder verdient Respekt. Wir müssen uns einsetzen und aufklären. Und wir müssen der Welt zeigen, dass wir aus der Geschichte lernen. Am Ende gewinnen immer die Menschen mit einem guten Herzen. Entscheide dich, einer von ihnen zu sein. Schau hin, anstatt wegzuschauen. Rede, anstatt zu schweigen.“
Die Auseinandersetzung mit individuellen Lebensgeschichten war auch ein zentraler Bestandteil der Fahrt in die Niederlande. In der Dauerausstellung des Lagers Kamp Westerbork übernahmen die Schülerinnen und Schüler Patenschaften für einzelne Schicksale. Anhand von Originalbriefen und persönlichen Gegenständen recherchierten sie die Lebenswege der Inhaftierten und stellten diese einander vor. Die unbegreifbare Anzahl von 107.000 Menschen, die insgesamt in Westerbork inhaftiert waren, bekam Gesichter. Der Zeitzeuge John Blogg berichtete in einer emotionalen Begegnung davon, wie seine Eltern den Zweiten Weltkrieg nur durch die Hilfe mutiger Menschen, die ihr eigenes Leben riskierten, überlebten. Besonders beeindruckt zeigten sich die Teilnehmenden von den Worten des Zeitzeugen: „Schaut nicht weg!“ – ein Appell, der aktueller ist denn je. In Amsterdam begaben sich die Schülerinnen und Schüler auf den Rundgang durch das (Hinter-)Haus, in dem die 13-jährige Jüdin Anne Frank sich zwei Jahre lang auf engstem Raum zusammen mit ihrer Familie und weiteren Personen versteckte. „Wir haben das Knarzen des Originalbodens selbst erlebt und konnten uns vorstellen, wie schwierig es gewesen sein muss, immer leise zu sein und sich nicht zu verraten“, schilderte eine Schülerin ihre Eindrücke.
In Weimar lernte die Reisegruppe die UNESCO-Welterbe-Stadt von verschiedenen Seiten kennen: Die Spuren von Goethe und Schiller kontrastierten mit einer Stadtführung unter dem Thema „Weimar im Nationalsozialismus“ und dem Museum „Zwangsarbeit im Nationalsozialismus“. In Erfurt besuchte die Gruppe den Erinnerungsort „Topf & Söhne“. Das Unternehmen hatte Verbrennungsöfen und Technik für die Gaskammern bereitgestellt. Eine Tatsache, mit der sich die Schülerinnen und Schüler in einem Workshop zur Frage von Arbeit und Verantwortung auseinandersetzten. Die in der Nähe von Weimar gelegene Gedenkstätte Buchenwald „mahnt uns“, so ein Schüler bei der Präsentation. „Es ist nicht einmal 100 Jahre her. Und auch wenn wir nicht direkt damit zu tun haben, muss man sich trotzdem das Ausmaß der Gewalt klarmachen.“ Unfassbar für ihn: „Es gab direkt neben dem Lager einen Tierpark. Es kann nicht sein, dass niemand etwas wusste.“
Im Gespräch mit dem Zeitzeugen John Blogg in Kamp Westerbork
Mahnende Botschaft am Obelisk im Vernichtungslager Treblinka
Workshop im Museum „Zwangsarbeit im Nationalsozialismus“ in Weimar
Gedenken an stillgelegten Gleisen beim Besuch von Auschwitz und Krakau
In Biekerniki innehalten am Erinnerungsstein Warendorf (Mitgliedsstadt im Riga-Komitee)
Fotos: PSBK