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Deutschland wird von der Mitte finanziert

Gregor Gysi zu Gast bei Kreishandwerkerschaft und Unternehmens- und Wirtschaftsverband Westfalen

Auf Einladung der Kreishandwerkerschaft Steinfurt-Warendorf und des UWW – Unternehmens- und Wirtschaftsverbandes Westfalen sprach Gregor Gysi im Unternehmen Bernd Münstermann GmbH & Co. KG in Westbevern vor rund 100 Gästen zum Thema „Wege in eine neue Gesellschaft – Herausforderungen Europa 2050“ – so stand es zumindest auf der Einladung. Aber wie man den Politiker der LINKEN kennt, beschränkt er sich nicht gerne auf Prognosen, deshalb ging der Bundestagsabgeordnete und Präsident der Europäischen Linken auch auf aktuelle Themen der Politik ein und nahm sein begeistertes Publikum mit auf einen 90 Minuten dauernden Parforceritt durch die deutsche, europäische und globale Politik – auch vor dem Hintergrund der anstehenden Europa-Wahl.

Viele Themen wurden angesprochen, unter anderem die Einstellung zu Migranten in Deutschland (Sie müssen die deutsche Sprache lernen, und sie dürfen die hier gelebte Kultur nicht durch ihre Wertvorstellungen beschränken, aber es ist gut, wenn sie unsere Kultur bereichern.), die Herausforderungen der Digitalisierung (Jede neue Technik schafft auch wieder neue Berufe und Arbeitsplätze. Erst mit der Erfindung des Telefon gab es auch die Telefonseelsorge) oder warum die Menschen im Osten stärker für Parolen der Rechtspopulisten empfänglich sind. Gysi mit seiner DDR-Biographie sieht die zunehmende Entfremdung zwischen West- und Ostdeutschland auch in Versäumnissen im Einigungsprozess. Westdeutschland wollte in allen Belangen der Gewinner sein. Zum Selbstwertgefühl der Ostdeutschen hätte es beigetragen, auch dortige Errungenschaften wie Polykliniken, Kinderbetreuung oder die Berufsausbildung mit Abitur anzuerkennen. „Spätestens wenn man dreimal gewinnt, sollte man beim vierten Mal den anderen gewinnen lassen“, so seine Einschätzung nicht nur zu einem besseren Zusammenfinden der Menschen in ganz Deutschland, sondern auch zur Sicherung des Ehefriedens, wie er augenzwinkernd anmerkte und von den Zuhörern mit verständnisvollem Lachen quittiert.

Mit Spannung erwarteten die anwesenden Vertreter der mittelständischen Wirtschaft die Ausführungen des LINKEN-Politikers zur Wirtschaft. Während Gysis Vorstellungen um die öffentliche Daseinsvorsorge in öffentlicher Verantwortung noch mit einer leichten Skepsis verfolgten – denn dazu gehört nach Meinung Gysis auch das Wohneigentum – nahmen die Zuhörer Gysis Plädoyer für den Mittelstand mit viel Zustimmung zur Kenntnis. Deutschland wird von der Mitte finanziert, so Gysi. Deshalb müssen die Großen, die Konzerne und Banken, mehr in die Verantwortung genommen werden, auch weil am anderen Ende die Kleinen nichts dazu leisten können, dass der Mittelstandsbauch weniger wird. Er schlägt eine Steuerreform vor, wonach da das Geld genommen wird, wo die Wertschöpfung stattfindet, also auch bei Facebook & Co. Und zum anderen soll jeder dort besteuert werden, wo er Staatsbürger ist, ganz egal wo er oder sie gerade lebt. Gysi befürwortet auch – im Gegensatz zu seiner eigenen Partei – dass Betriebe aus der Erbschaftssteuer ausgeklammert werden, weil oftmals funktionierende Unternehmen durch Notverkäufe vernichtet werden.

So viel Mittelstandsfreundlichkeit des LINKEN-Politikers erstaunte so manchen. Und deshalb war die abschließende Warnung Gysis, bevor er sich zu einem weiteren Termin nach Münster aufmachte, auch gar nicht so erschreckend. Der 71jährige wies schmunzelnd darauf hin, dass Konrad Adenauer erst mit 73 Jahren zum ersten Mal zum Bundeskanzler gewählt wurde.

Mit viel Verve sprach Gregor Gysi vor Vertretern der mittelständischen Wirtschaft über seine Sicht der Dinge

Gregor Gysi fand mit seinen mittelstandsfreundlichen Positionen Interesse bei den Vertretern der Wirtschaft

Fotos: Kreishandwerkerschaft Steinfurt-Warendorf