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Die Zeit, als die Bomben kamen – Mahnwache in Warendorf am 24. Februar

24. Februar, 4.30 Uhr. Die Zeit der Zeitungsboten. Es ist berührend still in Warendorf, die Straßen wie ausgestorben. Nur Straßenlaternen und Leuchtreklamen erhellen die Nacht, hinter kaum einem Wohnungsfenster brennt Licht.

So ähnlich muss es auch in vielen Teilen der Ukraine ausgesehen haben, am frühen Morgen des 24. Februar 2022, als die späten Stunden der Nacht jäh durch Explosionen unterbrochen wurden.

„Ich dachte, die Nachbarn sind bekloppt, dass sie mitten in der Nacht anfangen zu hämmern“, erinnert sich Aljona an den Moment, als sie damals aufwachte. Zwar kam das „Hämmern“ von Nachbarn – aber es waren Geräusche des Krieges, weil ihr „Nachbar“ Russland die Ukraine überfallen hatte und damit einen Krieg nach Europa trug, von dem viele dachten, dass er nie mehr möglich sei.

Am 24. Februar 2024 um 4.30 Uhr sind es keine Explosionen, die die nächtliche Stille in Warendorf unterbrechen. Nur leise Stimmen auf der Wiese vor dem Marienkirchturm, der um diese Uhrzeit in den Farben der Ukraine angestrahlt wird. Blauer Himmel über goldgelben Feldern auf dem weiten, fruchtbaren Land – das symbolisieren die Farben der ukrainischen Flagge. Diese Farben habe sich eingeprägt in das kollektive Bewusstsein, auch in Deutschland. Aus den leisen Stimmen kristallisieren sich zwei Sprachen heraus – ukrainisch und deutsch. Rund 10 Personen sind es um 4.30 Uhr, die mit dem Aufbau der Mahnwache beschäftigt sind. Darunter Christoph Berger vom benachbarten Modehaus Ebbers. Er liefert die Lichtinstallation, die den Sinn der nächtlichen Versammlung sofort erkennbar macht. Weitere Menschen kommen hinzu, darunter einige junge Frauen. Luba ist gerade einmal 18 und stammt aus dem Donbass. Am jenem Tag, an den hier heute alle erinnern, war sie 16. Und der Krieg für sie schon fast nichts neues mehr, den kannte sie schon als Kind. „Kennst Du Donbass?“, fragt sie. Man muss dieses Wort kennen, denn bereits 10 Jahre vor dem Ausbruch des Krieges hatte Russland dort große Gebiete besetzt, die sich fürderhin als „Volksrepubliken“ bezeichneten.

Doch der 24. Februar hatte eine neue Qualität. „Die ganze Ukraine“, sagt die 18-jährige, die jetzt mit ihrer Schwester in Warendorf wohnt. In einer Wohnung, die sie selbst bezahlen können, wie sie stolz sagt. Sie will sich hier eine neue Zukunft aufbauen.

Anders als die Frau neben ihr. Der Vater ihres jüngsten Kindes, das sie in Deutschland geboren hat, ist noch in der Ukraine. Sie will zurück, sagt sie. Ihr Blick verdüstert sich, sie kann ihre Tränen kaum unterdrücken.

Sie alle sind hier, um Solidarität mit ihrem Land zu zeigen – und für ihr Land und die Menschen zu beten. Die Mahnwache wurde von der Freien Kirchengemeinde Warendorf und Mitglieder der Ukrainischen  Kirche organisiert. Mehrfach ergreift einer von ihnen das Wort, betet, erinnert. Ein weiterer übersetzt, denn auch immer mehr Deutsche sind hier und zeigen ihre Solidarität. Am Rande des Geschehens erzählt Wilhelm Meier aus Freckenhorst, dass er zwei Tage nach dem Überfall einen Ausdruck der ukrainischen Flagge mit den betenden Händen von Dürer vor seinem Haus angebracht habe. Tags darauf machten ihn Nachbarn darauf aufmerksam, dass die Installation mit einem roten Hakenkreuz besprüht worden war. Er entrüstet sich noch heute über die Polizei, die ihn zu einer Anzeige wegen „Sachbeschädigung“ drängen wollte. Dass er die Anzeige wegen des Nazisymbols stellen wollte, müssen sie wohl ignoriert haben. Denn eingestellt wurde das „Verfahren wegen Sachbeschädigung“, erzählt er dem staunenden Stellvertreter des Landrats, Franz-Ludwig Blömker. Erst auf Nachfrage bei der Oberstaatsanwaltschaft, die von dem Hakenkreuz laut Akten gar keine Kenntnis hatte, wurde das Verfahren diesbezüglich aufgenommen.

Ein „Nebenkriegsschauplatz“ dieser Mahnwache, der zeigt, welche Tendenzen sich durch Deutschland ziehen. Da ist es beruhigend zu sehen, dass es Menschen gibt, die anders denken. Immer mehr versammeln sich an der Wiese vor dem beleuchteten Kirchturm. Frieren, weil es kalt ist. Sprechen miteinander. Beten. Schweigen. Und hoffen.

Zur Schweigeminute um 8:00 Uhr, mit der die Mahnwache endete, müssen es um die 50 Personen gewesen sein. Bedeutend weniger, als noch bei der Mahnwache auf dem historischen Marktplatz vor einem Jahr.

Blass und trüb zeigt sich der Mond über der Lichtinstallation am Marienkirchturm. Das davor ausgebreitete Lichterherz in den Nationalfarben sagt mehr als tausend Worte.

Es war ein langes Kommen und manchmal auch Gehen. Über die gesamte Dauer der Mahnwache mögen es rund 80 Personen gewesen sein, die ihre Solidarität ausdrückten.

Fast vier Stunden haben Olena und Luba (rechts) bei der Mahnwache mutig der Kälte getrotzt. Die innere Kälte dieses Tages sei viel schlimmer als die Temperaturen, sagt Luba. Es sei kein gutes Gefühl.

4:23 Uhr, 4° Celsius – Christoph Berger mit den letzten Vorbereitungen für die symbolhafte Lichtinstallation

Fotos: Rieder