Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL): Archäologie in Westfalen-Lippe 2020

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Vom 5.000 Jahre alten Megalithgrab bis zum Schauplatz der Kriegsverbrechen im Zweiten Weltkrieg.
Neue Publikation präsentiert aktuelle Forschungsergebnisse der LWL-Archäologie.

Münster (lwl). Deutschlands erste Flugsaurierspuren mit Hand- und Fußabdrücken aus einem Steinbruch, ein 870 Jahre altes Boot, das Unterwasserarchäolog:innen aus der Lippe bergen konnten, und ein mit Bodenradar wiederentdeckter Tennisplatz auf der Burg Tecklenburg – so vielfältig wie die archäologische und paläontologische Landschaft Westfalens sind die eingesetzten Methoden, mit denen sie untersucht wird.

Dieses breite Spektrum spiegelt auch die neue Publikation „Archäologie in Westfalen-Lippe 2020“ des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL). In 80 Beiträgen informieren 119 Autor:innen über die aktuellen Forschungsergebnisse aus Archäologie und Paläontologie und die größten Ausstellungen in Westfalen im Jahr 2020.

Auf 348 Seiten präsentieren die LWL-Archäologie für Westfalen und die LWL-Altertumskommission für Westfalen den Leser:innen die verschiedenen Fundplätze aus den unterschiedlichen Epochen aus ganz Westfalen. Das Jahr 2020 war allerdings auch bei der Archäologie von der Corona-Pandemie geprägt: Während sich die Museen aufgrund der Schließungen komplett umstellen mussten und etliche digitale Formate entwickelten, stieg die Zahl der Baumaßnahmen und damit der archäologischen Rettungsgrabungen erneut an. Deutlich gestiegen ist auch die Zahl der Sondengänger:innen.

Viele Menschen hatten im Corona-Jahr mehr Zeit, da die gewohnten Freizeitaktivitäten weggefallen sind. Und offensichtlich wollten viele ihre freie Zeit mit der Suche nach Schatzfunden verbringen. Für die Suche mit Metallsonden und das Magnetangeln in Gewässern sind Lizenzen nötig. So stieg allein im Regierungsbezirk Arnsberg die Zahl der Neuanträge von jährlich 60 auf 102 im Jahr 2020.

„Wir konnten die Antragsflut kaum bewältigen“, sagt Prof. Dr. Michael Rind, Chefarchäologe des LWL. „Einerseits bescheren die Sondengehenden der LWL-Archäologie wichtige neue Funde und Informationen. Aber der Arbeitsaufwand für die Bearbeitung der Anträge, die Betreuung der Sondengehenden, die Fundverwaltung und nicht zuletzt die zeitnahe wissenschaftliche Bearbeitung der Fundeinlieferungen ist kaum noch zu leisten.“ Einige der neuen Funde haben trotzdem bereits Eingang in den aktuellen Band gefunden, zum Beispiel eine Mars-Statuette aus Soest.

„Ein immer wichtigeres Thema wird die Archäologie der Neuzeit und Moderne“, sagt Dr. Aurelia Dickers, Vorsitzende der Altertumskommission. „Entsprechende Fundstellen wurden 2020 in ganz Westfalen untersucht: der Schauplatz eines Kriegsverbrechens im Arnsberger Wald, das „Arbeitserziehungslager« Lahde in Petershagen und eine Flugabwehrstellung in Münster-Handorf.“

Manchmal werden aber auch Burgen zu Fundstellen der Archäologie der Moderne. So wurden auf der Burg Tecklenburg überraschenderweise nicht nur Strukturen der Burggebäude entdeckt, sondern auch ein Tennisplatz. „Tennisplätze sind absolutes archäologisches Neuland“, so Rind. „Vor der Neugestaltung des Burgberges wurde das Gelände mit zerstörungsfreien Methoden untersucht. Im Bodenradar zeichnete sich dann der Rasentennisplatz aus der Zeit um 1900 ab. Bemerkenswert ist, dass sogar einige Linien des Spielfeldes erkennbar sind.“ Der neue Band bietet außer Fachleuten auch interessierten Laien einen guten Einblick in die neuesten Methoden der archäologischen Arbeit und stellt Fundplätze aus allen Epochen vor.

Die Publikation „Archäologie in Westfalen-Lippe 2020“ ist in Buchhandlungen, in den LWL-Museen in Herne, Haltern und Paderborn sowie im Internet unter http://www.archaeologie-und-buecher.de zum Preis von 19,50 Euro erhältlich. Die Beiträge des Bandes stehen nach einem Jahr auch online über Open Access im Internet kostenfrei zur Verfügung, wo ab sofort auch die Beiträge des Jahresrückblicks 2019 als Download bereitstehen. Weitere Informationen gibt es unter http://www.lwl-archaeologie.de.

Archäologie in Westfalen-Lippe 2020
Herausgegeben von der LWL-Archäologie für Westfalen und der Altertumskommission für Westfalen
348 Seiten, durchgehend farbig bebildert
Verlag Beier & Beran
Langenweißbach 2021
ISBN 978-3-95741-165-5
ISSN 2191-1207
19,50 Euro

Ein Blick ins Buch: Auswahl an Beiträgen
Im Steinbruch Störmer im Wiehengebirge (Kreis Minden-Lübbecke) wurden Spuren von Flugsauriern entdeckt. Vor 150 Millionen Jahren war dieser Bereich ein Watt, in dem sich die Gezeiten abwechselten. Im Gestein zeichnete sich außer mehreren einzelnen Hand- und Fußabdrücken mit Längen zwischen zwei und zehn Zentimetern auch eine kleine Fährte ab. Es handelt sich um den ersten Nachweis einer sogenannten Pteraichnus-Art in Deutschland und um die ersten deutschen Flugsaurierspuren, die mit Hand- und Fußabdrücken überliefert sind.

Auf dem Haarstrang bei Fröndenberg (Kreis Unna) liegt die Wallburg Stromberg im Wald. Bei der archäologischen Untersuchung gelang erstmals der Nachweis einer wahrscheinlich spätbronzezeitlichen Befestigungsphase in Südwestfalen. Die Anlage wurde bis um die Zeitenwende herum immer wieder genutzt und ausgebaut.

Bei Bad Wünnenberg (Kreis Paderborn) wurden zwei kleine Hofstellen mit mehreren Grundrissen von Wohnhäusern, Nebengebäuden und Speichern entdeckt. Bei beiden Hofstellen handelt es sich um die ersten Nachweise eisenzeitlicher fester Siedlungsplätze im östlichen Sauerland. Die wenig fruchtbaren Böden boten damals keine Möglichkeit für ertragreichen Ackerbau, weshalb die Menschen in dieser Region als Viehnomaden entlang der Flusstäler zogen. Die neuen Hofstellen zeugen von einem Wandel hin zu einer zumindest saisonal sesshaften Lebensweise in der frühen und mittleren Eisenzeit.

Westlich der Soester Innenstadt hat ein Sondengänger eine 8,6 Zentimeter hohe Statuette aus einer Blei-Zinn-Bronze aus der römischen Kaiserzeit gefunden. Solche Figuren wurden ursprünglich in einem privaten oder öffentlichen Altar aufgestellt. Die neue Statuette des Mars Ultor zeigt einen bislang in der Region unbekannten Typus. Wenig später wurde im Soester Norden zudem der Kopf einer weiteren Statuette entdeckt. Insgesamt kamen bislang weit über 100 Kilogramm Blei aus dem Soester Norden zutage, das zum Teil sicher in die ältere römische Kaiserzeit datiert. Bei allen »göttlichen Funden« aus Soest ist noch unklar, ob es sich bei ihnen um Beute- oder Handelsgut, um Geschenke sakraler Funktion oder sogar um Stücke handelt, die vor Ort hergestellt wurden.

Unter Wasser arbeiteten Archäolog:innen zwischen in Lippetal-Herzfeld und Lippstadt-Eickelborn (Kreis Soest). Am Grund der Lippe lag ein etwa 870 Jahre altes Schiffswrack – das älteste aus Planken und Spanten gebaute westfälische Boot. Da es quer zur Strömung lag, zum Teil schon unterspült war und sich an vielen Stellen die Holzverbindungen bereits gelöst hatten, reifte der Entschluss, die noch vorhandenen Reste in ihrer Lage zu dokumentieren und anschließend zu bergen. Das fast acht Meter lange und 2,6 Meter breite Boot aus Eichenholz wurde im Mittelalter für den Transport schwerer Lasten genutzt.

Aus der Gräfte des 1964 abgebrochenen Schlosses in Gronau (Kreis Borken) wurden so viele Funde geborgen, dass sich in dem aktuellen Band gleich zwei Beiträge mit ihnen beschäftigen. Erwähnenswert sind zahlreiche Lederobjekte wie Schuhe, Glasfunde, Armbrustbolzen und eine 164 Zentimeter lange Hakenbüchse, die noch mit grobem Schrot geladen war. Der Höhepunkt aber war eine vier Kilogramm schwere Turmfahne in Schwanenform, die im 15. oder 16. Jahrhundert mit einem Schuss vom Dach geholt worden war. Der Schwan ziert bis heute das Stadtwappen von Gronau, weshalb der Fund besondere Aufmerksamkeit erregte und gemeinsam mit einem Keramikhorn den Umschlag der LWL-Publikation ziert.

Auf einem Acker in Hemer-Deilinghofen (Märkischer Kreis) fand ein Sondengänger mehrere kleine, runde Metallscheiben. Sie waren nicht geprägt, weshalb zunächst vermutet wurde, dass hier Falschmünzer ihr Unwesen trieben. Im märkischen Sauerland sind Fälscherwerkstätten im 18. und 19. Jahrhundert vielfach nachgewiesen. Eine eingehende Analyse ergab jedoch, dass diese Relikte aus einer Knopfmacherwerkstatt stammen, einer Schlüsselindustrie der Region im 19. Jahrhundert.

Eine für Archäolog:innen eher skurrile Entdeckung war ein Tennisplatz auf dem Gelände der Burg Tecklenburg (Kreis Steinfurt). Bisher sind keine gesicherten Aussagen zum Grundriss der mittelalterlichen Burg möglich. Ihre Entwicklung lässt sich erst ab dem 16. Jahrhundert klarer fassen. Die geplante Umgestaltung des Burgberges war daher der Anlass für zerstörungsfreie Untersuchungen mit Bodenradar und Magnetik auf dem Gelände. Außer den erwarteten Resten der Burggebäude zeichnete sich im Bodenradar überraschenderweise der Rasentennisplatz ab. Er wurde um 1900 vom Justizrat Wilhelm Fisch (1852-1909) angelegt, der auch ein begeisterter Amateurfotograf war. In seinem Nachlass finden sich etliche Aufnahmen vom historischen Tennisspiel auf eben diesem Platz.