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Marina Weisband begegnete Schülerinnen und Schülern am Paul-Spiegel-Berufskolleg zum Europa-Tag

Mit Marina Weisband begrüßte Schulleiter Udo Lakemper am diesjährigen Europa-Tag einen prominenten Gast am Paul-Spiegel-Berufskolleg. In Kiew geboren und in den 90er Jahren nach Deutschland gezogen wurde sie durch ihre politische Arbeit in der Piraten-Partei bekannt. Sie gehört heute der Partei der Grünen an. Wer Marina Weisband noch nicht kannte, erhielt während der 90minütigen Veranstaltung einen Einblick in die Themen, mit denen sie sich beschäftigt und für die sie als Botschafterin auftritt.

Es ging um Demokratisierung, gesellschaftliche Mitwirkung und Teilhabe, Digitalisierung, Anti-Semitismus, Rassismus und den Krieg gegen die Ukraine. Die etwa 100 Schülerinnen und Schüler aus Voll- und Teilzeitbildungsgängen, die sich mit ihren Lehrkräften im Selbstlernzentrum des Paul-Spiegel-Berufskollegs eingefunden hatten, erlebten eine authentisch auftretende Frau, die ihre Positionen und Überzeugungen direkt und klar kommunizierte. Manchmal gedanklich und sprachlich sehr anspruchsvoll, dann wieder anschaulich auf Alltagsbeispiele bezogen, nebenbei Vokabeln aus dem Jugend-Jargon einstreuend und ohne Scheu, auch Bezüge zu ihrem ganz privaten Leben herzustellen.

Und sie konnte auch irritieren, etwa mit ihrer Äußerung, dass es ziemlich normal sei, sich bei anti-semitischen oder rassistischen Gedanken zu ertappen. Stereotype Bilder und Vorstellungen seien tief in uns verankert, aber man müsse diese reflektieren. Mit dem Foto eines Dienstwagens der Polizei vor der Synagoge in Münster im Hintergrund fächerte Marina Weisband das Thema Anti-Semitismus auf. Sie bezog sich auf die Darstellung von Juden und Jüdinnen als Sündenböcke und den Genozid als Eskalation des Hasses, erläuterte unterschwellige Botschaften in der Bildersprache der Medien und erzählte von persönlich erlebten Bedrohungen. Marina Weisband spannte den Bogen von Krisen und Veränderungen, mit denen wir konfrontiert seien, hin zur Gefahr eines größer werdenden Anti-Semitismus: „Die Welt verändert sich stark und die Menschen erleben Unsicherheit und Kontrollverlust.“ Das führe leicht dazu, nach Schuldigen zu suchen. Das hieraus Gewalt entstehen könne, verbale und physische, müsse erkannt werden. Schulleiter Udo Lakemper hatte zuvor auf den moralischen Auftrag verwiesen, der hinter der Namensgebung des Paul-Spiegel-Berufskollegs steht: „Wir haben die Verpflichtung, gegen Diskriminierung und Gewalt einzutreten.“ Das Namens-Etikett mit Leben zu füllen, sei eine Herausforderung.

Als Individuum Kontrolle zu haben, aktiv zu gestalten und Veränderungen herbeizuführen – das war eine weitere zentrale und leidenschaftlich vorgebrachte Botschaft von Marina Weisband. Es sei wichtig zu durchschauen, dass autoritäre und undemokratische Systeme den Menschen suggerierten, nichts tun zu können. Als Handlungsfeld hatte Marina Weisband dabei durchaus nicht nur Staaten im Blick, sondern ganz gezielt auch das Schulsystem. Schülerinnen und Schüler dürften, so ihre Kritik, sich nicht erfahren als Menschen, die sich nur an vorgegebene Lehrpläne, unflexible Unterrichtstaktung und machtausübende Lehrkräfte zu halten hätten: „Wenn Personen nicht lernen, dass sie etwas ändern können, haben sie das Gefühl, machtlos zu sein. Daher muss man Räume schaffen, in denen junge Leute lernen, Verantwortung zu tragen und Entscheidungen zu treffen.“ Aus Konsumenten müssten Gestalter werden, so Marina Weisband. Zentral verankert ist diese Grundidee in dem von ihr erarbeiteten Projekt „aula“, dessen Konzept sie vorstellte. Umsetzung von Partizipation, also Beteiligung, von Schülerinnen und Schüler an der Gestaltung von Schule stehe in dessen Mittelpunkt. „Das Projekt soll dabei helfen, eine Kultur zu entwickeln, in der alle Verantwortung übernehmen“, erläuterte Marina Weisband. Die jungen Menschen sollten viel aktiver mitbestimmen, um so die eigene demokratische Handlungskompetenz zu erleben und zu stärken. „Niemand vertritt eure Interessen so gut wie ihr selber“, appellierte sie und schob die Anregung nach, dies auch außerhalb der Schule zu tun. Man müsse in sich gehen und herausfinden, worum es einem gehe, um sich dann einzusetzen für die unterschiedlichsten Belange, z.B. des Berufsfeldes, des Klimas, des eigenen Stadtviertels, einer Menschengruppe. Dies erfordere jedoch auch, sich in den Themen mithilfe seriöser Quellen zu bilden.

Sabine Laarmann und Roland Niehues, Lehrkräfte für Gesellschaftslehre mit Geschichte am Paul-Spiegel-Berufskolleg, hatten die Idee zum Angebot dieser Veranstaltung. Anlässlich des Europa-Tages erinnerte Sabine Laarmann in ihrer Einführungsmoderation daran, dass die Europäische Union in ihrer Geschichte schon einige Krisen erlebt habe und ganz aktuell mit verstärkt rechtspopulistischen Tendenzen in ihren Reihen konfrontiert sei. Die Sicherung von Frieden, Wohlstand und Demokratie sei aktuell eine wichtige Aufgabe, der sich Europa stellen müsse, ohne zu zerbrechen. „Mit der Einladung von Marina Weisband wollen wir bei unseren Schülerinnen und Schülern das Interesse für Politik wecken“, so Sabine Laarmann, „und ihnen besonders auch Möglichkeiten aufzeigen, wie sie dieses Interesse aktiv gestalten und sich selbst als wirksam erleben können.“

Die Fragen aus dem Publikum am Ende der Veranstaltung zum Krieg in der Ukraine, den umstrittenen Formen des Klimaschutz-Protestes und dem Umgang mit Desinformation ließen erkennen, dass aktuelle politische und gesellschaftliche Themen die Schülerinnen und Schüler bewegen. Den Mut, diese Fragen zu stellen, könnte der Besuch von Marina Weisband gefördert haben. Die Schülerinnen und Schüler erlebten eine nahbare Persönlichkeit, die ihnen spontan, offen und humorvoll begegnete.

Marina Weisband mit Roland Niehues (Fachlehrer Gesellschaftslehre), Schulleiter Udo Lakemper und Sabine Laarmann (Fachlehrerin Gesellschaftslehre) (v.l.n.r.)

Die Schülerinnen und Schüler verfolgten Marina Weisbands Ausführungen zu Anti-Semitismus, Digitalisierung, Sicherheit in Europa und demokratische Teilhabe aufmerksam

Fotos: PSBK