Studienreise nach Krakau und Auschwitz – Auf den Spuren des jüdischen Lebens und der jüdischen Geschichte

1700 Jahre kann 2021 jüdisches Leben in Deutschland nachgewiesen werden, das im Rahmen eines bundesweiten Festjahres gefeiert wird. Anlässlich dieses Jubiläums veranstaltete das Kulturreferat für Westpreußen, Posener Land und Mittelpolen eine Studienreise mit TeilnehmerInnen aus Warendorf und Münster nach Krakau und Auschwitz, um die Spuren des jüdischen Lebens, der jüdischen Kultur sowie der jüdisch-deutschen Geschichte intensiv zu beleuchten.

2. August – Anreise

Nach der Ankunft am frühen Abend begab sich die Reisegruppe in das Viertel Kazimierz, welches im 14. Jahrhundert von König Kazimierz dem Großen gegründet wurde und in dem sich die jüdische Bevölkerung Krakaus ansiedelte. Bei einem Abendessen an der Szeroka-Straße – dem bedeutendsten Platz von Kazimierz mit insgesamt drei Synagogen – in einem traditionell jüdischen Restaurant in Begleitung von Klezmermusik konnten sich die TeilnehmerInnen auf die nachfolgenden Tage einstimmen.

3. August – Königliches Krakau

Die Geschichte Krakaus und ihr Wohlstand sind zweifelsohne auf den Status als ehemalige Königsstadt zurückzuführen, weshalb sich insbesondere in der Altstadt eine verblüffende Dichte an bemerkenswerten Gebäuden von der Gotik über die Renaissance und den Barock bis in die Neuzeit vorfinden lässt. Das wohl eindrucksvollste Gesamtensemble aus mehreren Architekturepochen bildet das Wawelschloss, ehemalige Residenz der Könige Polens. Während einer mehrstündigen Führung durch das Schloss, angefangen mit einer Kabinettausstellung mit Werken von Lucas Cranach dem Jüngeren und Lucas Cranach dem Älteren, konnten erstmals alle 137 Wandteppiche von König Sigismund August II in den Räumlichkeiten des Wawels bewundert werden. Das Ende der Besichtigung erfolgte nach dem Gang in den königlichen Garten in der Kathedrale, der Grablege der polnischen Könige.

In Krakau entstand 1364 eine der ersten europäischen Universitäten, an der berühmte Persönlichkeiten wie Nikolaus Kopernikus studiert haben. Das Collegium Maius mit seinem gotischen Arkadenhof ist der älteste erhaltene Teil und beherbergt ein Universitätsmuseum, das ebenfalls besichtigt wurde.

Nach dem Besuch des Collegium Maius führte der Weg auf den Hauptmarkt (Rynek Glowny), der einen der größten mittelalterlichen Plätze Europas bildet. Inmitten dieses Marktes stehen die im Renaissancestil errichteten Tuchhallen, eines der Wahrzeichen in der Altstadt Krakaus. Die überdeckten Gebäude dienten dem Handel mit Tüchern, wonach die Hallen ihren Namen erhielten. In den Jahren 1875–1878 wurden die Tuchhallen gründlich umgebaut. So entstanden im Obergeschoss Ausstellungsräume, die den ersten Sitz des Krakauer Nationalmuseums bildeten. Seit dem 20. Jahrhundert beherbergen sie die Galerie der polnischen Malerei des 19. Jahrhunderts und bieten außerdem den Besuchern Krakaus die Möglichkeit, das eine oder andere Souvenir zu erstehen.

Gegenüberliegend befindet sich die Marienkirche, die in ihrem Inneren den 1489 von Veit Stoß gefertigten und über 13 Meter großen Schnitzaltar mit Szenen aus dem Leben Mariens beherbergt. Nach einer kurzen, kunsthistorischen Einführung haben die TeilnehemerInnen die Kirche besucht, bevor es anschließend zum Florianstor mit der Darstellung des Heiligen Florian als Schutzheiligen der Stadt sowie zum Barbakan, einem der ursprünglichen Stadtmauer vorgelagerten Verteidigungswerk ging.

Unweit hiervon liegt das Czartoryski-Museum, das 1796 von Fürstin Izabella Czartoryska als ältestes Museum Polens eingerichtet wurde. Neben einer umfassenden Sammlung von Kunst- und Militärhandwerk sowie Objekten aus dem Kronschatz werden in dem Ende 2019 neu eröffneten Museum Gemälde von unschätzbarem Wert präsentiert – worunter Rembrandt van Rijns Landschaft mit dem guten Samariter (1638) und Leonardo da Vincis Dame mit dem Hermelin (um 1483-90) die Glanzlichter bilden.

4. August – Auschwitz und Auschwitz-Birkenau

Am dritten Tag der Studienreise fuhr die Reisegruppe zu den Konzentrationslagern nach Auschwitz und Auschwitz-Birkenau. Auschwitz und Auschwitz-Birkenau waren die größten und mit dem höchsten technischen Aufwand betriebenen nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslager. Dort sind insgesamt mehr Menschen zum Opfer gefallen als in jedem anderen Vernichtungslager. Ab Sommer 1942 wurde es zum zentralen Deportationsziel im deutschen Herrschaftsbereich. Mit diesen Tatsachen am dritten Tag der Reise konfrontiert, haben sich alle TeilnehmerInnen vor Ort ein Bild von den erschütternden Verbrechen der Menschheitsgeschichte machen können, die dort verübt wurden. Besonders die mehrstündige, ausführliche Führung sowie die speziell ausgebildete Vermittlerin haben dazu beigetragen, die grausame Geschichte zu erfahren, die die meisten TeilnehmerInnen überwiegend aus dem Geschichtsunterricht, aus verschiedenen Fernseh-Reportagen und aus Büchern kannten.

5. und 6. August – Jüdisches Leben und jüdisch-deutsche Geschichte

In Anknüpfung an den Besuch in Auschwitz und Auschwitz-Birkenau lag der Themenschwerpunkt für den Donnerstag auf die Erkundung des jüdischen Lebens und der jüdisch-deutschen Geschichte. Der hierzu vorgesehene Rundgang begann im Stadtviertel Podgórze auf dem der Altstadt und Kazimierz gegenüberliegenden Ufer der Weichsel.

Zunächst wurde der Platz der Ghettohelden besucht, auf dessen Gesamtfläche insgesamt 70 metallene, überdimensionierte Stühle aufgestellt sind. Auf diesem Platz, der sich inmitten des ehemaligen jüdischen Ghettos befindet, wurden zur Zeit der Nazi-Okkupation alle Selektionen und Appelle vor der Deportation in die Konzentrations- und Arbeitslager durchgeführt. Das heutige Denkmal, welches 2005 aufgestellt wurde, ist angelehnt an die Berichte von Tadeusz Pankiewicz, der als einziger arischer Bewohner des Ghettos die Apotheke „Zum Adler“ (Pod Orłem) betreiben durfte. Pankiewicz erinnerte sich an die vielen Selektionen auf dem Platz – was schließlich übrig blieb waren die Besitztümer der Menschen, darunter zahlreiche Möbelstücke. Pankiewicz konnte die deutschen Okkupationsbehörden davon überzeugen, dass eine Apotheke beim Ausbruch einer Epidemie im Ghetto unerlässlich sei. Tatsächlich wurde sie auch zu einem Ort konspirativer Treffen und Anlaufstelle für die verfolgten BewohnerInnen des Ghettos. In den restaurierten Räumen der Apotheke ist heute eine Dauerausstellung des Krakauer Stadtmuseums eingerichtet, in der die Geschichte von Pankiewicz sowie die Ereignisse an diesem Platz anhand von Originaldokumenten dargestellt wird. Nur wenige hundert Meter davon entfernt an der Lwowska-Straße sind noch Fragmente der Ghettomauer erhalten, die von der Gruppe nach der Besichtigung der Apotheke aufgesucht hat.

Als letzte Station in Podgórze stand das Oskar-Schindler-Museum in der ehemaligen Emaillefabrik auf dem Plan. Schindler bewahrte während des Zweiten Weltkrieges gemeinsam mit seiner Frau etwa 1200 bei ihm angestellte jüdische Zwangsarbeiter vor der Ermordung in den Vernichtungslagern. Im Verwaltungsgebäude der ehemaligen Fabrik befindet sich heute eine Abteilung des Historischen Museums der Stadt Krakau, in der die Geschichte Krakaus in den Jahren 1939 bis 1945 beleuchtet wird. Die Kriegsgeschichte der Fabrik und ihres Besitzers sowie die Geschichte der von ihm geretteten Menschen sind vor allem durch Steven Spielbergs Spielfilm „Schindlers Liste“ bekannt geworden.

Am 6. August – dem Tag vor der Abreise – erkundeten die TeilnehmerInnen erneut das Viertel Kazimierz, in dem noch immer Spuren des jüdischen Lebens wie Synagogen, Friedhöfe und hebräische Inschriften an den Fassaden vorzufinden sind. Zunächst wurde die im 15. Jahrhundert erbaute Alte Synagoge besichtigt, die das älteste Baudenkmal jüdischer Sakralarchitektur in Polen bildet. In dem inzwischen profanierten Gebetshaus befindet sich eine Dauerausstellung des Historischen Museums für die jüdische Geschichte und Kultur, in der die wertvollsten Exponate der Judaica-Sammlung, die mit der Synagoge, den jüdischen Feiertagen und Zeremonien, dem Privat- und Familienleben verbunden sind, präsentiert werden.

Von großer Bedeutung ist ebenfalls die1553 errichtete Remuh-Synagoge, die nach dem hebräischen Akronym des Rabbi Moses Isserles (1525-1572) benannt ist. Sie ist eine der wenigen Synagogen in Krakau, in der noch Gottesdienste stattfinden. Zugleich zählt sie zu einem der wichtigsten Wallfahrtsorte für Juden aus aller Welt, die auf dem anliegenden Friedhof mit 711 historischen Grabsteinen die Ruhestätte von Moses Isserles aufsuchen.

Als letzte Synagoge wurde die Tempel Synagoge besichtigt, die 1860 bis 1862 im Stil der Neorenaissance nach Vorbild des Wiener Leopoldstädter Tempels als Gotteshaus der reformierten Juden erbaut wurde. Ihr Innenraum beeindruckt durch die reichen Goldverzierungen an der Decke sowie die 36 erhaltenen, ornamentalen Glasfenster mit Inschriften der Stifter. Neben der Remuh-Synagoge werden auch hier Gottesdienste gefeiert, zudem dient sie in Verbindung mit dem benachbarten jüdischen Gemeindezentrum als Veranstaltungsort für Kulturfestivals.

Während dieser Studienreise mit Mitgliedern des Vereins zur Förderung des Westpreußischen Landesmuseums im Franziskanerkloster Warendorf e. V. konnte die Stadt Krakau als geschichtsträchtiger Ort erlebt werden, der unweigerlich auch mit historisch gravierenden Ereignissen aus der Vergangenheit der Menschheitsgeschichte verknüpft ist. Diesbezüglich schienen bei allen TeilnehmerInnen der Rundgang durch das ehemalige Ghetto sowie insbesondere die Besuche in Auschwitz und Auschwitz-Birkenau den wohl eindringlichsten Eindruck hinterlassen zu haben: Cornelia Marquardt-Schemmelmann bezeichnete die Konzentrations- und Vernichtungslager als „Orte, an denen einem die menschliche Grausamkeit in ihrer vollen Dimension vor Augen geführt wird“.

Dorothea Goebeler äußerte sich ebenfalls hierzu: „Mir sind am meisten – wenn auch im negativen Sinn – die Besichtigungen von Auschwitz und Auschwitz-Birkenau im Gedächtnis geblieben. Ich erinnere mich an meine Kindheit – da war ich 12 Jahre alt – als die Auschwitzprozesse im Radio übertragen wurden. Damals war es für alle noch kein richtiger Teil unserer Geschichte, der im Unterricht besprochen wurde. Umso wichtiger erscheint es mir, dass diese Geschichte niemals in Vergessenheit gerät.“

Die TeilnehmerInnen der Studienreise vor dem erhaltenen Fragment der Ghettomauer in Podgórze

Foto: Daniel Friedt