Langfristiges Projekt am Emskolk weist auf wenig beachtete Ausbeutung von Mensch und natur hin.
„Tomate passiert – Ausbeutung auch“ – Zugegeben, der Slogan des Projekts, das in den kommenden Jahren an der Kolkstiege deutlich sichtbar auf die Missstände in der Tomatenproduktion hinweisen soll, ist zwar geschickt gewählt und einprägsam, aber etwas holprig. Erst beim zweiten Nachdenken wird klar, dass das Wort „passiert“ sowohl Adjektiv als auch Verb sein kann.
Bei der Ende September offiziell gestarteten Aktion geht es in erster Linie um das Verb, wie Milena Tilly und Emma Krampe von der Bischöflichen Realschule mit einem Text deutlich machten. Ihr fiktiver Dialog klärte darüber auf, dass das Massenprodukt Tomate, sofern es nicht in heimischen Gefilden wächst, eine bedeutende wirtschaftliche Funktion hat, bei der es, gerade in Süditalien, um Gewinnmaximierung geht. Denn die Bezahlung der dort Arbeitenden, zu denen oft Flüchtlinge zählen, die unter den widrigsten Bedingungen leben, ist weder fair, noch gerecht oder angemessen.
„Wenn eine Dose Tomaten im Supermarkt nur 39 Cent kostet, dann braucht der Bauer Sklaven”, sagt Yvan Sagnet, ein Flüchtling aus Kamerun, der vor Jahren in die Fänge eines Caparole geriet, eines jener Arbeitsvermittler, die den Landwirten billige Arbeitskräfte besorgen und daran ordentlich verdienen. 20 Euro erhielt Sagnet für 14 Stunden Arbeit und 300 Kilo Tomaten. Abzüglich Transport und Brot(!) blieb: Nichts!
Sagnet gründete die Aktion „NoCap“, die diese Ausbeutung mit fair gehandelten Tomaten und Tomatenprodukten umgeht. Doch allein die Existenz dieser fair produzierten und gehandelten Waren, die auch im Warendorfer Weltladen erhältlich sind, reicht nicht. Sie – und das zugrunde liegende menschliche Debakel – sollen stärker ins Bewusstsein der Bevölkerung rücken. Das vom Münsteraner Verein Vamos initiierte Projekt „Münsterland Global Lokal“ dreht sich am Beispiel der Tomate rund um das Thema globale Ernährungsproduktion – ein Thema, das dabei auch die Ausbeutung der Natur in den Fokus nimmt. Die Stadt Warendorf, voran die Fair-Trade-Steuerungsgruppe, habe sofort signalisiert, sich beteiligen zu wollen, berichtet Vanessa Krüger von Vamos. Auch die „Essbare Stadt“ sei sofort im Boot gewesen. Im November habe es den ersten von drei Workshops gegeben und das fertige Projekt mit mehreren Informationsstelen soll jetzt fünf Jahre lang über die wenig bekannten Zustände informieren. Der Emskolk, sicherlich eine der bekanntesten Standorte der Essbaren Stadt, wurde bewusst für dieses Projekt ausgewählt.
Die Fläche sei als Schullernort zur Verfügung gestellt worden, erläuterte Bürgermeister Peter Horstmann bei seinem Grußwort zur Eröffnung. „Es ist ein Thema, über das man nicht genug reden kann“, betonte er und drückte den zahlreichen Beteiligten seinen Dank aus. Viele ehren- und hauptamtliche Mitarbeiter hätten das Projekt unterstützt.
Zu den maßgeblich an der Planung des Projekts Beteiligten zählten auch Warendorfer Schulen. Entsprechend erhielt auch die Eröffnung Unterstützung. Einige Schülerinnen der Gesamtschule liefen mit einem Bauchladen durch die Innenstadt, verkauften dort NoCap-Tomatendosen und sammelten Spenden. Ihre Eltern seien sofort einverstanden gewesen, erzählten Melis Karaman und Finja Dreege aus der 6. Klasse der Gesamtschule. Die Bischöfliche Realschule war mit einem Chor zugegen, wie auch das Gymnasium Laurentianum, das den Kinderchor unter Leitung von Matthias Hothneier entsandt hatte. Für das leibliche Wohl mit verarbeiteten Tomaten sorgte das Haus der Familie mit einer leckeren Tomatenquiche. Ungewohnte, wenig bekannte Tomatensorten in verschiedensten Farben hatte Andreas Beckmann von der Gärtnerei Blütenmeer aus Telgte mitgebracht, darunter auch „Sibirische Birnchen“. Bis in den Nachmittag wurden zudem Führungen angeboten, bei denen Helfende von Vamos interessierten Passanten mehr zur gesamten Problematik erläuterten.
Mit einem fiktiven Dialog verdeutlichten Milena Tilly (vorne li.) und Emma Krampe von der Bischöflichen Realschule wie Tomaten und das Thema Ausbeutung zusammenhängen
Cornelia Lindstedt (Fair-Trade-Steuerungsgruppe), Inge Selige (Weltladen), Vanessa Krüger (Vamos), Andreas Beckmann (Gärtnerei Blütenmeer) Tore Süßenguth (Vamos), Bürgermeister Peter Horstmann und Robin Kühler (Laurentianum) (v.li.)
Stefanie Pfennig und Anne Abeler vom Haus der Familie boten Usniie Dzhelialova, Marlies Ermel, Anastasiia Safonova und Khrystyna Cherkashyna frisch gebackene Tomatenquiche an (v.li.)
Der Kinderchor des Gymnasium Laurentianum mit Matthias Hothneier
Melis Karaman (li.) und Finja Dreege aus der 6. Klasse der Gesamtschule verkauften in der Altstadt mit Mitschülerinnen NoCap-Tomatendosen und sammelten Spenden
Fotos: Rieder