Kreis Warendorf. Aktuell leiden fast 30 Prozent der Deutschen unter einer psychischen Erkrankung wie Depression oder Angststörung. Bekannt ist, dass viele dadurch zeitweise arbeitsunfähig sind. Weniger Aufmerksamkeit erhalten dagegen Kinder psychisch kranker Eltern. Deren Not ist aber oft groß, macht Rahel Krückels, Leiterin der Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche, im Interview deutlich. Die Einrichtung in Trägerschaft des Caritasverbandes im Kreisdekanat Warendorf hilft betroffenen Kindern und Jugendlichen.
Die Erziehungsberatungsstelle der Caritas bietet Unterstützung für Kinder psychisch kranker Eltern an. Wie sieht diese Hilfe aus?
Krückels: Wir haben so genannte Wolkenschieber-Gruppen, in denen sich jeweils etwa fünf bis acht Kinder einer Altersgruppe treffen. Eine ganz wichtige Erfahrung für Kinder psychisch kranker Eltern ist, dass sie in dieser Situation nicht alleine sind. Das gilt im doppelten Sinn: Die Kinder und Jugendlichen erfahren, dass es andere gibt, die Ähnliches erleben. Und sie haben einen geschützten Raum, im dem sie von ihrem besonderen Leben erzählen können und Unterstützung für ihren Alltag erhalten.
Worunter leiden Kinder psychisch kranker Eltern am meisten?
Krückels: Viele Kinder schämen sich oder fühlen sich schuldig. Sie fragen sich, ob sie selbst der Grund sind, warum es Mama oder Papa schlecht geht. Deswegen beschäftigen wir uns zu Beginn der Gruppenarbeit damit, den Kindern Krankheiten wie Depression oder Angststörung altersgemäß zu erklären. Für die Kinder und Jugendlichen ist es wichtig zu wissen, dass es die Krankheit ist, die Mama oder Papa manchmal so schnell schreien oder so abwesend sein lässt. Es ist nicht das Kind schuld, und die allermeisten Eltern wollen nicht, dass ihre Kinder leiden. Denn natürlich empfinden die meisten Kinder stark negative Reaktionen eines Elternteils als verletzend. Sie fühlen sich zum Teil abgelehnt und brauchen Hilfe, um das Verhalten der kranken Mutter oder des kranken Vaters einordnen zu können. Dann können sie die guten Seiten ihrer Eltern auch wieder besser wahrnehmen.
Sind die Kinder, die diese Hilfe in Anspruch nehmen, selbst verhaltensauffällig?
Krückels: Jedes Kind reagiert anders. Einige ziehen sich zurück, andere reagieren mit Wutanfällen. Meistens zeigen sich Verhaltensauffälligkeiten aber erst in einer eher stabileren Phase. Dann nehmen die Kinder ihre eigenen Bedürfnisse überhaupt erst wahr. Zuhause werden viele Bedürfnisse der Kinder ja nicht befriedigt. Das gilt insbesondere, wenn die Kinder sich selbst unsicher fühlen. Aber auch an Unterstützung bei den Hausaufgaben fehlt es oft – und manchmal bekommen sie eben nicht einmal ein Butterbrot für die Schule.
Die Kinder sind also früh auf sich selbst gestellt.
Krückels: Richtig. Viele übernehmen die Aufgaben von Erwachsenen. Es ist nicht selten, dass Kinder psychisch kranker Eltern für jüngere Geschwister sorgen. Viele kochen, putzen, kaufen ein.
Welche Unterstützung kann die Schule leisten?
Krückels: Für manche Kinder ist die Schule ein regelrechter Zufluchtsort. Denn dort gibt es Strukturen und Stabilität – eine Sicherheit, die zuhause oft fehlt. Andere Kinder gehen auch mal nicht zur Schule, weil sie sich Sorgen um Mama oder Papa machen.
Kann die Wolkenschieber-Gruppe therapeutische Hilfe für die Kinder sein?
Krückels: Nein, therapeutische Hilfe leisten wir nicht. Aber wir können dazu beitragen, die Widerstandskräfte des Kindes zu stärken. Die Gruppe ist oft der Ort, an dem die Kinder wieder lachen können. Wir bekommen viel positive Rückmeldung. Zuletzt von einer Jugendlichen, die mit den anderen der Gruppe noch einmal richtig Kind spielen durfte. Jeder konnte – so wie früher – eine Bude bauen. Ein Raum nur für sich. Und natürlich gab’s auch Kekse. Essenspausen und Spiele gehören im Übrigen zu jeder Gruppenstunde dazu.
Wie finden die Kinder den Weg in eine Wolkenschieber-Gruppe?
Krückels. Oft sind es die Eltern, die selbst Hilfe in der Beratungsstelle erhalten und dann von ihrem Kind erzählen, das sich zum Beispiel immer mehr zurückzieht. Meistens steht schnell die Frage im Raum: Liegt das vielleicht an mir? Es ist wunderbar ist, wenn Eltern mit psychischen Erkrankungen für sich und ihre Kinder nach Unterstützung suchen. Das erleichtert auch den Kindern, Hilfen anzunehmen. Die Kollegen und Kolleginnen der Caritas-Beratungsstelle verweisen dann oft auf eine Wolkenschieber-Gruppe. Manchmal sind es aber auch Psychiater oder Sozialarbeiter, die den Kontakt herstellen. Und natürlich kann sich jedermann direkt an uns wenden. Die Beratungsstelle ist zu erreichen unter Telefon 02581-6365-82 oder erziehungsberatung@kcv-waf.de
Rahel Krückels: „Kinder psychisch kranker Eltern fühlen sich oft schuldig. Sie fragen sich, ob sie selbst der Grund sind, warum es Mama oder Papa schlecht geht. Die Erziehungsberatungsstelle der Caritas bietet diesen Kindern konkrete Unterstützung für ihren Alltag an.“
Foto: Kreiscaritasverband