Ihre Bühne ist kaum größer, als ein Röhrenfernseher, wie er in den 1990er Jahren noch in jedem Wohnzimmer stand – mitunter auch kleiner. Sie ähneln Kasperl- oder Marionettentheatern, haben damit aber wenig gemein, auch wenn es gewisse Parallelen gibt. Denn das Kasperle wurde – und wird manchmal noch – in den Familien gespielt. Und das ungleich schwierigere Marionettentheater kann selbstverständlich auch große Kunst zeigen.
Das Papiertheater war quasi der Fernseher unserer Groß- Urgroß- und Ururgroßeltern, sagen Kenner der Materie. Man könnte noch ein oder zwei weitere „Urs“ davor hängen, denn diese unvergleichliche Kunstform lässt sich bis ins Jahr 1810 zurückverfolgen. Mit dem Radio, dem Kino und später auch dem Fernseher gingen viel Interesse daran verloren und in den Wirren der zwei Weltkriege auch viele Bühnen und Figuren. Denn die bestehen, wie der Name es sagt, aus Papier, respektive Pappe mit aufgeklebtem Papier.
„Papier wäre zu dünn, um es als Figuren zu nutzen“, sagt der Warendorfer Künstler Manfred Kronenberg, der ein Fan, ein Bewunderer, ein Kreativschaffender und ein Bewahrer des Papiertheaters ist. Kurzum: Es hat ihn einfach gepackt.
Vor Jahren schon. Seither widmet er dieser Kulturform, die im Jahr 2021 zum Immateriellen Kulturerbe erklärt und ins Bundesdeutsche Verzeichnis der UNESCO aufgenommen wurde, einen großen Teil seines künstlerischen Schaffens. Dementsprechend weiß er viel darüber und geizt nicht mit Informationen und einem gesunden Sendungsbewusstsein, mit dem er dieses mitunter hämisch als „Spielzeug“ abgetane Kulturgut in den Fokus der Menschen bringt. Derzeit mit einer sehenswerten Ausstellung im Historischen Rathaus in Warendorf und vom 10. bis 12. März mit der zweiten Auflage des Warendorfer Papiertheaterfestivals, zu dem zahlreiche bekannte und anerkannte Künstler der Szene anreisen und in der Kreisstadt aufführen werden.
Und eben nicht „Kasper und der böse Hund“, sondern – neben extra für das Papiertheater geschriebenen Werken – auch eine Umsetzung des Buchs „ Pangu Narathi – Im Sog der Berge“, das weltberühmte Buch „Der kleine Prinz“ in einer Inszenierung für Papiertheater nach Antoine de Saint-Exupéry und die klassische Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“.
Große Kunst auf kleiner Bühne. Als Mittel einer Wissensaneignung und kulturellen Prägung der Zeit hat das Papiertheater in fast keinem bildungsbürgerlichen Haus des 19. Jahrhunderts gefehlt. Selbst in Thomas Manns „Buddenbrooks“ ist es in einem Kapitel verewigt.
Grund genug einen Blick in die Ausstellung zu werfen, die in vier Räumen einen Gang durch die Geschichte des Papiertheaters präsentiert. Mit zahlreichen Informationen aufbereitet und mit sehenswerten Exponaten eine Lust zum Schauen.
Der letzte Raum gehört den Werken von Manfred Kronenberg, der an den restlichen Februarsonntagen auch anwesend sein wird. Auch wenn ein großer Teil des „Kleinen Prinzen“ schon fertig ist, bereitet er hier noch diverse nach – so wie Papiertheater in der Regel entstand: Bleistiftzeichnungen bilden den Grundstock. Sie werden koloriert, ausgeschnitten und auf Pappe gebracht. Bühnen waren seinerzeit käuflich, auch die Figuren. Während begüterte Häuser und Familien sich dies leisten konnten, wurden sie in ärmeren Familien selbst gefertigt. Der Auswahl der Werke waren keine Grenzen gesetzt. Die setzte allenfalls die Fragilität und Empfindlichkeit. Kronenberg erzählt von der berühmten Wolfsschluchtszene im Freischütz, von Kanonendonner und Feuer – und den Konsequenzen, die selbiges haben konnte. Dies fällt gleich bei einem ersten der Exponate ins Auge: Eine Papierbühne, beleuchtet mit echten Kerzen.
Die Ausstellung im Historischen Rathaus in Warendorf ist bis zum 12. März jeweils dienstags bis freitags von 15 bis 17 Uhr, sowie samstags und sonntags von 14 bis 17 Uhr geöffnet. Es lohnt sich, Zeit und Muße mitzubringen.
Es lohnt sich ebenfalls, bereits frühzeitig Karten für das Festival zu ordern. Denn die kleinen Bühnen benötigen die Atmosphäre kleiner Spielorte und sind deshalb limitiert auf jeweils 25 Zuschauer. Die Festival-Karten (12,- Euro Erwachsene, 7,- Euro Kinder bis 12 Jahre) sind nur online über den Ticket-Service des Scala Filmtheaters www.scala-warendorf.de oder an der Kino-Kasse, Klosterstraße 5 erhältlich.
Die Aufführungen „Der kleine Prinz“ vom Papiertheater INVISIUS – Berlin im Ratssaal des historischen Rathaus, die im Rahmen der Ausstellung „PAPIERTHEATER – Kleine Theater, große Kunst“ sind nicht vorab buchbar! Sie werden veranstaltet von der Stadt Warendorf zugunsten des Warendorfer Kinderhilfswerks Aktion Kleiner Prinz e.V. Für diese Aufführungen ist der Eintritt ist kostenlos, um eine Spende vor Ort wird gebeten.
Weitere Informationen auch über das Festivalprogramm unter www.papiertheater.eu
Manfred Kronenberg, der auch während der Ausstellung nicht von seiner Arbeit lässt, beantwortet gerne alle Fragen rund um das Papiertheater
Eine durchdachte, gut aufbereitete und informative Ausstellung, die sich auch bestens für Schulklassen eignen würde
Auch für Märchen wie Hänsel und Gretel eignet sich die kleine Bühne
Wie klein die großen Bühnen sind, demonstrierten Rüdiger Koch vom Papiertheater INVISIUS – Berlin und Manfred Kronenberg bei der Vernissage (v.li.)
Fotos: Rieder