Voltigieren ist Turnen auf dem Pferderücken. Die Kombination aus turnerischen Übungen, die Fähigkeiten wie Körperbeherrschung, Gelenkigkeit, Ausdruck, Kraft und Gleichgewichtssinn voraussetzten, und dem Ausgleich der Bewegungen des Pferdes, auf dem man voltigiert, machen diese Sportart anspruchsvoller als sie zunächst vielleicht aussieht.
Ausgangssituation ist zunächst ein Trainer oder Gruppenleiter, der das Voltigierpferd longiert. Longieren heißt: Der Gruppenleiter steht in der Mitte eines Kreises, des sogenannten Zirkels, und lässt das Pferd an einem langen Band, der Longe, im Kreis laufen. Auf Stimmkommandos oder Hilfen mit Longe oder Peitsche wechselt das Pferd die Gangart oder hält an. Auf seinem Rücken trägt ein Voltigierpferd keinen Sattel, sondern eine rechteckige Unterlage und einen breiten Ledergurt mit zwei Haltegriffen an der Oberseite.
Nachdem die Voltigierer sich aufgewärmt haben, läuft jeweils einer in die Mitte des Zirkels und von da aus auf das Pferd zu, bis er parallel neben dem Pferd „trabt“ oder „galoppiert“. Er fasst an die Griffe des Gurtes, springt kräftig ab und schwingt sich auf den Pferderücken.
Übungen auf dem Pferd gibt es viele, der Phantasie sind kaum Grenzen gesetzt. Machbar ist generell alles, was das Pferd tragen kann und nicht zu Verletzungen führt. Lockerungs- und Aufwärmübungen können genauso geturnt werden wie Handstände, Salti oder Spagate.
Grundsätzlich unterscheidet man im Turniervoltigieren, bei dem sechs bis acht Voltigierer eine Mannschaft bilden, zwischen der „Pflicht“ und der „Kür“. Die Übungen, die je nach Leistungsklasse (von S, M, L und A abwärts) variieren. Der RFV hat zwei Mannschaften die in den Leistungsklassen A und L starten. Hier setzt sich die Pflicht wie folgt zusammen.
Die erste Übung ist der Aufsprung. Dazu läuft der Voltigierer parallel zur Longe im Galopprhythmus des Pferdes an, Nach ergreifen der Griffe, springt er mit beiden Beinen vom Boden ab. Durch kraftvollem Armzug und Höhengewinn des Beckens kann der Voltigierer weich direkt hinter dem Gurt einsitzen.
Die Grundlage aller weiterführenden Übungen ist der korrekte Grundsitz. Der Voltigierer sitzt im Reitersitz auf dem Pferderücken und streckt die Arme zur Seite. Anschließend kommt die Fahne. Dabei kniet der Voltigierer auf dem Pferderücken und streckt das rechte Bein nach hinten und den linken Arm nach vorne. Die nächste Übung ist das Stehen, wobei der Voltigerer mit Blick nach vorne auf dem Pferderücken steht.
Danach folgt der Stützschwung vorlings. Hierfür holt der Voltigierer aus dem Sitzen mit seinen Beinen Schwung, drückt sich mit den Armen vom Pferd weg (möglichst bis in den Handstand) und landet wieder vorwärtssitzend auf dem Pferderücken.
Für die halbe Mühle vollführt der Voltigierer eine 180° Drehung im Sitzen. Dafür führt er seine Beine abwechselnd über den Pferdehals oder Pferderücken bis er Rückwärts auf dem Pferd sitzt.
Daraus wird der Stützschwung rücklings getunt. Er holt mit den Beinen ebenfalls Schwung wie in der vorwärts Variante, schwinkt dann aber die Beine schnellkräftig zum flüchtigen Winkelstütz vor und hoch. Daraus erfolgt ein weiches rückwärts einsitzen auf den Pferderücken.
Die letzte Übung ist der Abgang aus dem rückwärts Sitz nach innen. Hier wird auf eine leise und auf beidbeinige Landung Wert gelegt.
Alle Pflichtübungen werden in den Leistungsklassen (S-A) im Galopp geturnt. In den unteren Stufen im Breitensport Bereich im Schritt.
In der Kür turnen immer einer, höchsten drei Voltigier gleichzeitig auf dem Pferd. Bei Dreierübungen hat ein Voltigierer in der Regel die Funktion des Untermanns. Die Übungsblöcke werden durch möglichst passende Auf-, Ab- und Übergänge miteinander verbunden. Je nach Schwierigkeitsgrad und Perfektion gibt es auf Wettkämpfen Punkte.
Voltigieren kann jeder, der Lust hat, mit anderen jungen Menschen Sport zu treiben, der ein wenig mit Pferden umgehen kann und Interesse an gymnastischen und turnerischen Übungen hat. Das Mindestalter liegt bei fünf Jahren. Die Einstiegsgruppen sind breitensportmäßig orientiert. Wer Interesse und Talent hat kann später in eine der Turniergruppen wechseln und an Leistungswettkämpfen teilnehmen.
„Knie gerade Kopf hoch und lächeln“
Turnierinnen auf „Dr.Peppers genannt Paul“ Rücken
Schnaubend dreht Paul seine Runden in der Reithalle. Das Voltigierpferd wechselt auf das Kommando seiner Longenführerin Renate Fockenbrock Gangarten und Tempo. Aus der einen Ecke der Reithalle hört man Stimmen- die Voltigierer wärmen sich auf, besprechen neue Übungen oder einfach den ganz gewöhnlichen Alltagskram.
Eine völlig normale Trainingsstunde der Voltigierer des Reit-und Fahrvereins Warendorf in der „Hans-Günter Winkler-Reithalle“ auf dem Vereinesgelände in Dackmar. Nach den Wettkampf Wochenenden im Frühjahr und Sommer geht es zum Ende des Jahres ins Wintertraining.
„Voltis“, nennt Renate ihre Schützlinge. Acht sind momentan in der Gruppe. Sie bilden die Mannschaft, die zur Zeit nur aus Mädchen besteht. Für sie heißt es zu Beginn jeder Trainingsstunde: Warmlaufen- und das nicht zu knapp. Nach dem Laufen wäre manch Ungeübter wahrscheinlich mit seinen Kräften- und seinem Atem- schon am Ende. Für die Voltis geht es danach erst richtig weiter. Lockerungs- und Dehnungsübungen folgen. Auf das Krafttraining darf nicht zu kurz kommen, schließlich braucht ein Voltigierer nicht nur Beweglichkeit für seine Übungen auf dem Pferderücken, sondern häufig genug auch Kraft, um sich und andere bei Übungen zu stützen. Oft werden Figuren aus der sogenannten „Pflicht“ schon in das Aufwärmprogramm integriert, um die Haltung zu verbessern oder Fehler bewusst zu machen.
Doch nicht nur die Menschen müssen sich aufwärmen, für das Voltipferd gilt das gleiche. „Paul“, wie er liebevoll genannt wird, absolviert die typischen Lockerungsübungen für ein Sportpferd: Laufen in den verschiedenen Gangarten, Übergänge zwischen Trab und Galopp oder Trab und Schritt. Und ab und zu auch eine Gehorsamsübung, wie das Anhalten aus dem Galopp.
Natürlich wird in regelmäßigen Abständen die Hand, das heißt die Richtung, in der Paul im Kreis läuft, gewechselt, damit sie keinen „Drehwurm“ bekommt und jede Seite gleich belastet wird. Ausgerüstet ist Paul mit einem Voltigiergurt, der speziell für die turnerischen Übungen auf dem Pferderücken konstruiert ist.
Sind schließlich alle aufgewärmt, begibt sich ein Teil der „Voltis“ in die Zirkelmitte und trainiert abwechselnd Pflichtübungen auf Paul Rücken. Klar, dass da mit Korrekturen nicht gespart wird: „Knie gerade, Kopf hoch- und lächeln“. Parallel zu den Turnern auf dem Pferd lassen sich die anderen am Holzpferd korrigieren oder entwickeln und verbessern Übungen aus der Kür.
Auch hier wird mit Verbesserung, aber auch mit Lob und Anregungen nicht gespart. Die am Holzpferd „trocken“ durchgespielten Übungselemente gilt es dann in einem nächsten Durchgang auf Pauls Rücken zu turnen. Bei ganz neuen Ideen geschieht das erst einmal im Schritt, schließlich muss sich Paul auf die Gewichtsbelastung einstellen. Außerdem ist es etwas ganz anderes eine Übung auf dem unbeweglichen Holzpferd zu machen oder auf dem schwungvoll schreitend oder galoppierenden „echten“ Pferd. Nicht nur die körperlichen Kräfte werden beim Training gefordert. Um die Kür ansprechen zu gestalten, müssen Trainer wie Voltis ihre Phantasier spielen lassen. Welche Übungen lassen sich geschickt kombinieren? Wo lässt sicher der Ausdruck einer Übung durch Armbewegungen erhöhen? Was könnte man Neus probieren?
Für Detailfragen ist während der Trainingsstunden zwischen Wettkämpfen wenig Zeit, die müssen vorher geklärt sein, da konzentriert man sich auf das Wesentliche: die Routine. Die Übungen müssen so sicher sitzen, dass die Voltis jeden Handgriff und jede Bewegung „ drauf haben“ und dass Paul die Reihenfolge der Übungen kennt.
Die Kleinsten turnen auf den Rücken der Großen, die auf dem Pferderücken sitzen, knien oder stehen, herum und zögern nicht, sich in einer Rolle durch die Luft wirbeln zu lassen oder über den Köpfen der Partner in die Luft stemmen zu lassen. Klar, dass solche schwierigen Übungen nicht auf Anhieb klappen- aber dafür ist das Wintertraining ja da.
Im März wird die Turniersaision wieder eröffnet.
Wer Interesse am Voltigieren hat, kann sich bei Renate Fockenbrock unter www.volti-warendorf.jimdo.com melden. Es sind noch Plätze frei!
Unser Foto zeigt:
Auf „Pauls“ Rücken zeigen die jungen Voltigierer ihr Können: Hanna Richter (Stand in den Schlaufen) und Finnja Koch (Handstützposition)