Zum Gedenken an Paul Spiegel

Paul Spiegel, Ehrenbürger der Stadt Warendorf, wäre am morgigen Sonntag, dem 31. Dezember 2017, 80 Jahre alt geworden.

Paul Spiegel wurde 1937 in Warendorf geboren. 1939 floh die Familie Spiegel vor dem Nazi-Terror nach Belgien und kam erst nach Kriegsende zurück nach Warendorf. Hier besuchte der junge Paul die Grundschule und das Gymnasium. Nach dem Abitur erlernte er bei der „Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung“ das journalistische Handwerk.

Nach seiner Ausbildung war er in verschiedenen Bereichen als Journalist tätig und gründete 1986 in Düsseldorf eine internationale Künstler-Agentur. Daneben übernahm der in der jüdischen Gemeinde Düsseldorfs einige Ehrenämter. Nach dem Tod von Ignaz Bubis wurde er im Jahr 2000 zum Präsidenten des Zentralrates der Juden in Deutschland gewählt. Er war der letzte Holocaust-Überlebende in diesem höchsten Amt der jüdischen Gemeinden. Er bekleidete dieses Amt bis zu seinem Tod im April 2006.

Paul Spiegel war die Versöhnung zwischen den Religionen und Menschen ein wichtiges Anliegen. Den Besuch von Papst Benedikt XVI. in der Synagoge von Köln wertete er als „historisches Ereignis“.

Paul Spiegel hat sich über die Stadtgrenzen von Warendorf hinaus für die Werte eingesetzt, die das bürgerschaftliche Miteinander noch heute prägen. Zur Verleihung der Ehrenbürgerwürde trug er sich mit dem Friedensgruß

„Herzlichen Dank und meiner

Geburtsstadt und allen Bewohnern

SHALOM!“

in das Goldene Buch der Stadt Warendorf ein.

Anlässlich des Geburtstages von Paul Spiegel wird die stellvertretende Bürgermeisterin Monika Walter-Kaiser in Vertretung von Bürgermeister Axel Linke im Beisein des Arbeitskreises „Jüdische Leben in Warendorf“ und Vertretern des Paul-Spiegel-Berufskollegs einen Kranz am Jüdischen Friedhof und an der Stele in der Freckenhorster Straße niederlegen.

 

Paul Spiegel in Warendorf

Die Lebensgeschichte Paul Spiegels wurzelt in Warendorf. Eine Lebensgeschichte, die in dieser Stadt auch schmerzhafte Einbrüche erfahren hat. Immer wieder hat Paul Spiegel die Verbindung zu seiner Vaterstadt differenziert, aber stets positiv herausgestellt und betont. Das ist in Anbetracht seiner, wie auch der Biografie seiner Eltern, alles andere als selbstverständlich.

Sein Vater kehrte nach seiner Befreiung 1945 aus dem Konzentrationslager Dachau in seine Heimat zurück. Er definierte auch nach fünf Jahren Folter und Erniedrigung in den schlimmsten Lagern der Nationalsozialisten eine Stadt als sein Zuhause, von der er sehr genau wusste, dass er hier Freunde, aber nicht nur Freunde hatte. Aber er, der wie viele andere unter der NS-Gewaltherrschaft in seinen Rechten als Mensch auf das Schlimmste gedemütigt und verletzt wurde, gerade er reichte die Hand zur Versöhnung.

Dieses positive, in die Zukunft gerichtete Denken prägte Paul Spiegel von 1945 an, als er mit seiner Mutter als achtjähriges Kind nach Warendorf und zum Vater zurückkehrte. Seine Eltern waren und Paul Spiegel wurde mit „Leib und Seele“ Warendorfer. Ob beim Fußballspiel oder im Schützenverein „Hinter den drei Brücken“ – die Familie Spiegel war in das gesellschaftliche Leben dieser Stadt integriert.

Sein Einsatz als Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland galt aufgrund seiner inneren Überzeugung dem Eintreten für Toleranz und gegen rechte Gewalt und Fremdenfeindlichkeit. Er verkörperte dieses mit aller gebotenen Offenheit, Entschiedenheit und Zivilcourage, wo immer Unrecht in unserem Land geschah. Eines seiner wesentlichen Anliegen war dabei die Aussöhnung zwischen Juden und Christen. Dieses Engagement verdient gerade über seinen Tod hinaus unsere höchste Beachtung und breiteste Unterstützung, unabhängig von religiöser oder weltanschaulicher Überzeugung. Denn leider waren und sind antisemitische und fremdenfeindliche Ausschreitungen in unserer demokratischen Gesellschaft nach wie vor spürbar.

Paul Spiegel wurde am 05.09.2001 das Ehrenbürgerrecht der Stadt Warendorf verliehen. Das Ehrenbürgerrecht wird nur dann verliehen, wenn hierzu ein ganz besonderer Anlass für die Gemeinde besteht. Es handelt sich um eine außergewöhnliche Auszeichnung, die gleichzeitig die höchste Ehrung darstellt, die eine Stadt aussprechen kann.

Die Auszeichnung Paul Spiegels mit dem Ehrenbürgerrecht der Stadt Warendorf ist als Zeichen für die solidarische Unterstützung seines Engagements zu verstehen. Es geht ebenso darum, die Erinnerung daran wach und in Ehren zu halten, dass jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger in dieser Stadt und über die Stadtgrenzen hinaus gelebt und gewirkt haben. 

Die Benennung des Berufskollegs in Warendorf nach dem Ehrenbürger Paul Spiegel ist nicht nur äußeres Zeichen für die Erinnerung an den Menschen Paul Spiegel. Sie ist auch lebendiger Beweis dafür, dass die Grundwerte, für die Paul Spiegel mit aller Vehemenz Zeit Lebens eintrat, von der nachwachsenden Generation auch in Zukunft reflektiert und gelebt werden.

Für die lebendige Erinnerung daran, dass jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger in dieser Stadt gelebt und gewirkt haben, stehen in Warendorf der Jüdische Friedhof am Bentheimer Turm, die Gedenkstele an der Freckenhorster Straße, die Benennung der Straße, die zum Jüdischen Friedhof führt, nach Hugo Spiegel und nicht zuletzt der Vorplatz zum Jüdischen Friedhof vor dem Münstertor. Er erinnert als Ort der Stille und des Gedenkens nicht nur an die jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger, die unter dem nationalsozialistischen Terrorregime misshandelt, verschleppt und grausam ermordet wurden, er steht auch stellvertretend für jedes Unrecht, das durch die Missachtung der Menschenrechte verursacht wurde und wird. Dieser Platz steht sinnhaft damit auch als Denkmal an Paul Spiegel, den Mitinitiator dieses Projektes, den unerbittlichen Kämpfer für Toleranz und demokratische Werte, den Ehrenbürger, den Freund und Sohn der Stadt Warendorf.

Der Arbeitskreis „Jüdisches Leben in Warendorf“ und die Stadt Warendorf erarbeiteten mit Paul Spiegel gemeinsam ein Konzept, das schließlich zur Umgestaltung des Vorplatzes des Jüdischen Friedhofs vor dem Münstertor und zur Errichtung einer neuen Gedenkstele führen sollte. Dieses Vorhaben lag ihm besonders am Herzen. Schließlich fanden seine Eltern auf dem Friedhof vor dem Münstertor ihre letzte Ruhestätte. Der Ehrenbürger der Stadt Warendorf hat die Einweihung von Vorplatz und Gedenkstele nicht mehr miterleben können. Paul Spiegel verstarb am 30. April 2006. Die Gedenkfeier für Paul Spiegel fand am 24.05.2006 im Theater am Wall statt –  der Ort, an dem ihm auch das Ehrenbürgerrecht verliehen worden war. Zudem stand der städtische Neujahrsempfang im Januar 2007 unter dem Motto „Erinnerung an Paul Spiegel“.

Der Künstler Gunter Demnig erinnert mit seinem Kunstprojekt „Stolpersteine“ an die Opfer der NS-Zeit, indem er vor ihrem letzten (selbstgewählten) Wohnort Gedenktafeln aus Messing ins Trottoir einlässt. Am 14.10.2013 wurden im Rahmen dieses Projektes die Stolpersteine für die Familie Spiegel an der Schützenstraße 17 in Warendorf verlegt.

Am 31.12.2017 wäre Paul Spiegel 80 Jahre alt geworden. Über diesen Anlass wird die Stadt Warendorf öffentlich berichten und am Jüdischen Friedhof und an der Gedenkstele an der Freckenhorster Straße einen Kranz niederlegen. 

Zudem wird Herr Bürgermeister Axel Linke in seiner Neujahrsrede auf den Ehrenbürger Paul Spiegel eingehen.