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Eine kleine Weihnachtsgeschichte: Jahresabschluss im Jugendzentrum

Am vergangenen Freitag war es wieder soweit. Der mittlerweile traditionelle Jahresabschluss im Jugendzentrum am Lappenbrink stand wieder auf dem Programm. Jedes Jahr am letzten Schultag zieht es viele Besucher*innen, ehemalige Erzieher*innen, Praktikant*innen und Student*innen in das Haus an der Hessel. Neben weihnachtlicher Livemusik gab es reichlich Pizza und Getränke auf Kosten des Hauses für alle. Wie in jedem Jahr hatten sich viele Menschen viel zu erzählen.

Aber was passiert in dem Haus neben der Post eigentlich genau? Warum zieht es so viele ehemalige Besucher*innen und Mitarbeiter*innen auch noch nach Jahren immer wieder in das städtische Gebäude? Dirk Ackermann, städtischer Jugendpfleger und Leiter der Einrichtung beschreibt es so: „Als ich vor ein paar Tagen mit ungefähr zehn Kindern den Weihnachtsbaum am Mühlenplatz gekauft habe, sprach mich ein älterer Herr an: „Was ist das eigentlich für ein Haus, ein Kinderheim?“ „Nein“ antwortete ich. Ich der Kürze der Zeit fiel mir nur eine knappe und pragmatische Erklärung ein: „Das ist wie eine Kneipe für kleine Leute; nur ohne Alkohol.“

Das Jugendzentrum der Stadt Sassenberg ist ein offenes Haus, dass für jede Besucherin und jeden Besucher seine Türen geöffnet hat. Die großen Reisen in den Sommerferien nach Südeuropa, die Betreuerschulungen in den Osterferien und die Vater-Kind-Wochenenden für die Kindertageseinrichtungen sind zeitlich begrenzte Veranstaltungen. Die offene Kinder- und Jugendarbeit im Jugendzentrum ist unsere tägliche Aufgabe. Bei unserer Arbeit sind wir sehr dankbar und froh, dass wir keine Entwicklungsberichte verfassen müssen oder gar Noten vergeben müssen. Die Anforderungen an die heranwachsenden Menschen sind im Alltag schon groß genug. Bei uns wird jede Besucherin und jeder Besucher so akzeptiert, wie sie oderer ist. Es ist egal, ob du grün, gelb, braun oder lila bist. Es spielt keine Rolle, zu welchem Gott du betest oder ob du (noch) nicht so gut deutsch sprechen kannst oder Defizite in Mathematik hast. Du bist erstmal, mit allem was du hast und was du kannst, herzlich willkommen. Wir investieren täglich in zwischenmenschliche Beziehungen. Manchmal klappt das, manchmal eben nicht. Das ist wie im richtigen Leben. Aber alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter begegnen unseren Gästen mit einer positiven Grundhaltung. Wir sind Teil ihres Lebens und sie sind Teil unseres Lebens. Wir spielen zusammen, wir lachen zusammen, wir streiten zusammen und manchmal weinen wir auch zusammen. Wir versuchen, ein Anker in dem jungen, manchmal aber auch von Unsicherheiten und Überraschungen geprägten, Leben unserer Gäste zu sein. Ich lese in der Fachpresse häufig den Begriff „Resilienztraining“ für Kinder. Diese Trainings sollen die persönliche und seelische Widerstandskraft von Kindern stärken und sie so auf die Unwegsamkeiten des Lebens vorbereiten. Ich halte das größtenteils für Unsinn. Das ist, als wenn du dich auf den Tod eines geliebten Menschen vorbereitest. Wenn es aber soweit ist, dann stehst du da mit deinem Schmerz, deiner Trauer und all deiner Wut. Auf sowas kannst du dich nicht vorbereiten, auch wenn wir es uns so sehr wünschen. Wenn es mal richtig eng wird im Leben, wenn es scheint, dass alle Stricke reißen, dann brauchst du einen Menschen an deiner Seite, der größer, stärker und weiser ist als du es in dieser Situation gerade sein kannst. Und das bedarf tragfähiger und belastbarer Beziehungen. Wenn Mama und Papa sich gerade trennen und Papa ausziehen will, dann brauchst du nämlich einen heißen Kakao und einen vertrauten Menschen, der liebevoll deinen Kopf streichelt und sagt: DU hast keine Schuld. Wir schaffen das zusammen. Ich bin für dich da. Das funktioniert aber nur, wenn du vorher genug Beziehungskredit erwirtschaftet hast. Und das ist unsere tägliche Aufgabe. Vier Eckpfeiler bzw. Botschaften sind in der pädagogischen Konzeption unseres Hauses verankert. Erstens: Ich sehe dich! Ich sehe dich mit all deinen Stärken und Schwächen. Zweitens: Du gehörst dazu! Jeder hier im Haus gehört dazu. Zugehörigkeit ist ein Grundbedürfnis des Menschen. Wir wollen doch alle dazugehören?! Zur Familie und zum Freundes- oder Kollegenkreis. Drittens: Du bist okay! Wir kritisieren oft das Verhalten der Kinder, die das Haus besuchen, aber niemals das Kind selbst. Die vierte, und aus meiner Sicht wohl wichtigste Botschaft: Ich bleibe! Ich bleibe und halte dich aus. Du kannst dich an mir reiben und mit mir streiten, aber morgen werde ich wieder hier sein und auf dich warten und dann beginnen wir nochmal von vorne. Denn dass Erwachsene kommen und gehen, haben einige Kinder schon oft genug erlebt. Sie testen uns, ob wir wirklich unser Wort halten.

Diese Leitsätze sind die Stützpfeiler der pädagogischen Grundhaltung aller Mitarbeiter*innen hier im Hause. Das versuche ich auch den Studierenden der unterschiedlichsten Berufsfach- und Fachhochschulen, die hier regelmäßig ihre Praktika absolvieren, zu vermitteln. Ohne eine tragfähige Beziehung sind jegliche pädagogischen Bemühungen vergebens. Und egal wo sie studieren oder schon längst im Berufsleben stehen, wenn sie zu Hause in Sassenberg sind, schauen sie immer kurz vorbei. Und an Weihnachten sind sie eben alle da. Dann umarme ich sie gerne und flüstere ihnen ins Ohr: „Du gehörst dazu.“ Und bisher sind sie alle wiedergekommen… auch wenn es mal eng wurde in ihrem Leben.“